Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Aquilotto. Sie ist nicht restauriert, aber in einem guten Gebrauchszustand, und das seit gut siebzig Jahren. Mein schönster Spontankauf auf einem italienischen Mercato Antiquario.
„Die geht auch nicht mehr so, wie sie sollte“, bemerkte ich, nachdem ich seinem Blick gefolgt war. „Sie zieht nicht mehr richtig.“
„Haben Sie denn schon etwas dagegen unternommen?“
„Den Auspuff habe ich mir angesehen, die Kompression habe ich gemessen, die Reibrolle gesäubert, aber irgendwie finde ich nicht heraus, woran es liegt.“
„Da müssen wir gleich mal gucken“, erklärte meine neue Flohmarktbekanntschaft. „Trivial ist das Problem nicht, aber ich habe da einen leisen Verdacht, was es sein könnte.“
Und der bestätigte sich später, nachdem der Zylinder ausgebaut war: Die das Verbrennungsgas führenden Kanäle im Inneren des Motors waren zugesotten. Es gab aber auch eine gute Nachricht: Das Problem war lösbar. Der pensionierte Kfz-Mechaniker hatte sofort eine Lösung parat. Die war jedoch etwas komplizierter: „Wissen Sie was, wir bauen den Motor hier an Ort und Stelle aus, und dann nehme ich ihn mit zu mir nach München. Dort werde ich ihn zerlegen, dafür habe ich hier die Zeit nicht mehr.“ Und so machten wir es dann auch.
Eine Woche später rief er an: „Ich habe alles zerlegt, aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie sollten, wenn Sie Zeit haben, bei mir vorbeikommen und ihn unter meiner Anleitung selbst wieder zusammenbauen. So lange bleiben die Teile offen herumliegen. Wenn Sie sich die Einzelteile anschauen, die Kanäle mit einem Bürstchen reinigen und dabei lernen, wie alles im Detail aussieht, können Sie es beim nächsten Mal allein, weil Sie es verstanden haben.“
Da hatte ich nun einen Lehrmeister. Ich hatte außerdem einen neuen Bekannten gewonnen, den ich sehr schätze. Er war ein klassisches Beispiel für die Art von älteren Menschen, deren Erfahrung in unserer Gesellschaft nicht genug wertgeschätzt wird.
Reparieren macht kreativ
Reparieren ist ein tatkräftiges Eingreifen, es ist das kreative Beenden von Fehlzuständen, ein Suchen nach Alternativen. Kreativ muss man schon sein, weil man in der Regel ohne genaue Reparaturanleitung arbeiten muss, weil man hin und wieder Ersatzteile selbst zusammenbasteln muss, weil es sie nicht mehr gibt, und weil man auch nicht selten mit nicht optimaler Werkstattausstattung auszukommen hat. Man kann ja nicht jeden Spezialschlüssel zu Hause haben, nicht jeden Herstellungsvorgang eines zu reparierenden Gegenstandes im Detail und damit auch die entsprechende Reparaturstrategie von vornherein kennen. Damit hat man oft ein System vor sich, dasman in der Kybernetik vielleicht zu unterdeterminiert nennen würde – also nicht vollständig genug bestimmt –, um eine eindeutige Handlungsanweisung hinsichtlich der Reparaturschritte parat zu haben. Nun muss man mit best guess , mit trial and error arbeiten, schlichtweg einfach mal etwas ausprobieren, kreativ sein und von seinen Fehlern lernen. Man kann auch sagen, man muss sich eben zu helfen wissen.
Der Prozess der Reparatur aktiviert so brachliegende Potenziale. Gerade im Bereich der Erziehung von Kindern und Jugendlichen ist die Erweiterung der eigenen Fähigkeiten, die Erarbeitung neuer Möglichkeiten eminent wichtig. Das ist der Kern der Entwicklung, die Essenz des Lernens. Auf der demographisch anderen Seite der Gesellschaft, es mag wie eine Utopie klingen, sollte man nichts unversucht lassen, um das vielfach vorhandene, aber ungenutzte Potenzial älterer Menschen mit großer (Berufs-)Erfahrung für die jüngeren Generationen erlebbar zu machen. Menschen haben im Lauf ihres Lebens häufig ungeheure Fähigkeiten erworben und entwickelt, die sie im Alter nicht mehr nutzen, weil sie, im Extremfall, durch mangelnde sinnvolle Aufgaben in eine Art Teilnahmslosigkeitsverhalten gedrängt werden. Auch Menschen, die arbeitslos sind, verfügen über Reparier-Know-how, und es gibt wunderbare Initiativen, wo sie über Reparaturshops wieder sinnvolle bezahlte Arbeit finden.
Kultivieren wir unsere Fähigkeiten, trainieren wir mit dem Reparieren selbstverantwortliches Handeln. Machen wir wieder die Erfahrung, nicht von anderen abhängig zu sein. Diese Erfahrung kann sich dann auf alle möglichen anderen Bereiche übertragen. Wer etwas beherrscht, das Anerkennung bringt, fühlt sich auch auf anderen Gebieten lernfähiger. Experimente von Psychologen haben gezeigt, dass die Erfahrung der Hilflosigkeit die
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