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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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Spezialschraubenziehers bedurfte, um das Gehäuse überhaupt öffnen zu können. Um die Schrauben des Notebooks zu lösen, hätte ich einen Inbusschlüssel benötigt, aber nicht den üblichen mit dem Innensechskant. Was ich brauchte, war ein Schlüssel mit einem Innenfünfkant. Das stellte ich aber auch nur fest, als ich mir diese merkwürdige Angelegenheit unter einem Vergrößerungsglas anschaute. Die fünfzähligen Schrauben sahen sehr hübsch aus, fast wie Blütenköpfe, aber die Ästhetik half nicht darüber hinweg, dass ich für sie keinen passenden Inbusschlüssel besaß. Und auch in den einschlägigen Geschäften, in denen ich Stammkunde bin, stieß ich nur auf ein verneinendes Kopfschütteln. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn übers Internet zu bestellen und auf die Post zu warten.
    Inzwischen hatte ich mir im Netz die Anleitung ausgesucht, die mir am besten gefiel: Auf Youtube fand ich ein Video mit dem Titel „MacBook Air Disassembly“ von Gavin Brown, das wirklich sehr zu empfehlen ist. Schritt für Schritt erklärte mir Gavin, wie ich das Gehäuse aufzuschrauben hatte. Innerhalb von knapp fünf Minuten erfuhr ich, welche Schrauben ich an der Abdeckplatte lösen musste, welche Schrauben länger sind („Das Ganze klemmt ein wenig, aber ihr könnt ruhig etwas dran ziehen“). Es war eine brillante Eins-zu-eins-Anleitung, von einem Computer-Bastler ins Netz gestellt. Natürlich arbeitet man dabei auf eigenes Risiko, und unter Umständen verliert man auch Garantieansprüche. Aber man darf die andere Seite nicht außer Acht lassen, die positiven Erfahrungen. Man gewinnt Selbstvertrauen und vor allem Erkenntnisse, auch wenn es mal nicht klappen sollte.
    Nachdem das Gehäuse aufgeschraubt war, sah ich, dass die Kopfhörerbuchse leider nicht von hinten, also von der Steckerseite, zugänglich war. Ich gelangte tatsächlich nicht aus dem Innenraum des Computers an das festsitzende abgebrochene Steckerende des alten Audioverbindungskabels heran. Mist!
    Gavin hatte für einen solchen Fall aber ebenfalls eine Lösung parat – anscheinend war ich nicht der Einzige, der sich mit abgebrochenen Teilchen in Kopfhörer-Buchsen herumschlug. Ich schraubte das Notebook wieder zusammen und folgte Gavins Vorschlag: Nimm einen Zahnstocher oder etwas Vergleichbares und versehe ein Ende mit einem Zweikomponentenkleber. Danach stecke das Teil mit dem Kleber in die Buchse, in dem das abgebrochene Steckerteil feststeckt, lasse den Kleber trocknen, dann ziehe alles zusammen vorsichtig heraus.
    Warum nicht? Mein Bauchgefühl signalisierte mir, dass ich auf der richtigen Spur war. Nach etlichen Fehlversuchen schien die Lösung greifbar nah. Ich war aufgeregt wie ein Detektiv, der auf seinen Spürsinn, und natürlich Gavins Tipps, vertraute und kurz davor stand, den Täter in die Falle zu locken. Dabei hatte ich den Hinweis mit dem Kleber sogar zunächst verworfen – Kleber betrachte ich immer skeptisch und mitVorbehalt, weil ein winziger Tropfen zu viel bereits ein großes Unheil verursachen konnte. Und mein neues Notebook wollte ich keineswegs ruinieren. Bohrer und Zangen lagen mir näher. Nach einem Moment der inneren Abwehr leuchtete mir diesmal die Adhäsionskraft des Klebers jedoch ein, eine Doppelklebefolie, gewickelt um einen Zahnstocher, hätte nicht fest genug gehalten, um ein Metallteil aus einer Buchse herauszuziehen.
    Dabei wurde ich etwas abgelenkt, weil ich nicht umhinkam, über die faszinierende Fähigkeit eines Zweikomponentenklebers, immense Adhäsionskräfte zwischen zwei Teilen zu vermitteln, nachzudenken: Es fiel mir ein, dass ich als Student das Buch Schritte über Grenzen des berühmten Physikers Werner Heisenberg gelesen hatte, der sich schon als Schüler nicht vorstellen konnte, dass man sich, wie zu seiner Zeit gelehrt, chemische Bindungen durch Häkchen und Ösen zwischen Atomen vermittelt vorstellen müsste. Atomistisch betrachtet ist Adhäsion nämlich eine schwierige Sache. Denn welche Kräfte waren es, die zwei sich berührende Oberflächen, also in diesem Fall die Metallatome des Steckers auf der einen Seite und Kohlenstoffatome des Holzzahnstochers auf der anderen, fest miteinander verbinden konnten? Waren es induzierte Dipol-Dipol-Wechselwirkungen, die sogenannten Van-der-Waals-Kräfte, oder kovalente chemische Bindungen, die hier durch den Kleber vermittelt eine Rolle spielten? Woher nehmen Klebstoffe, auch die, die die Natur bereitstellt, ihre Kraft und auch Flexibilität – zum Beispiel

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