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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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modernen Gesellschaft geliefert haben.
    Zurück auf die Insel. Wo kann man auf ihr eigentlich Feuersteine finden? Wo soll man suchen? Wie steht es um meine geologischen, mineralogischen, physikalischen, chemischen Kenntnisse, und bin ich überhaupt in der Lage, sie praktisch anzuwenden? Ein anderes Beispiel: Gibt es auf der Insel Nüsse, Paranüsse oder Walnüsse, muss man sich überlegen, wie man sie öffnet, um sie essen zu können. Sie kommen ja nicht in Dosen vor, die man einfach nur öffnen muss. Dafür kann man die heruntergefallenen Nüsse aufsammeln, auf einen harten Untergrund legen und mit einem Felsstück draufschlagen. Leider bricht die Nuss dann kaum so, dass man sie bequem verspeisen kann, man hat einzig Splitter. Okay, die kann man auch verspeisen. Aber der Ehrgeiz ist doch geweckt. Aus der „früheren“ Welt kannte man einen Nussknacker. Doch wie funktionierte der eigentlich? Gut, Messer hat unsere Truppe inzwischen auf die Reihe bekommen, und Äste gibt es genug auf dem Eiland. Da könnte man sich einen Nussknacker schnitzen. Doch damit er die Nuss auch wirklich so zerteilt, dass die Frucht ganz bleibt, muss ich das physikalische Gesetz der Hebelwirkung kennen. Aber wer hat das noch aus dem Physikunterricht in Erinnerung? [Unsere Tochter macht sich noch heute einen Spaß daraus, mir zuzusehen, wie der Physiker-Vater eine Kokosnuss in der Werkstatt öffnet: zunächst an gegenüberliegenden Seiten mit der Bohrmaschine anbohren und den Saft auslaufen lassen (Unterdruck beachten!), oder doch erst anritzen und eine Sollbruchstelle für die anschließende Bearbeitung mit dem Hammer erzeugen, oder doch ganz anders? Da kann man ein kleines Strategiespiel daraus machen.]
    Aufgrund solcher Gedankenexperimente begreift man, dass die scheinbar einfachen Dinge unseres Alltags gar nicht so einfach sind.
    Andere Mitglieder der Gruppe erstellen einen noch ambitionierteren Plan. Sie fragen sich, ob es auf anderen Inseln des Atolls vielleicht auch noch Menschen gibt, eine Zivilisation, mit der man in Kontakt treten könnte. Wäre es da nicht toll, einen Funkempfänger zu haben und festzustellen, ob irgendwelche Sender zu empfangen sind? Doch wie baut man so etwas, was ist die Basis von Rundfunk? Was ist sozusagen die Minimalversion eines Radios? Erst einmal würde ich bei dieser Frage auf dem Schlauch stehen. Ein Elektronikgeschäft gibt es auf der Insel nicht, eine Bastelanleitung hätte ich im Kopf. Vielleicht würde mir dann aber doch noch eine Idee kommen ...
    Beim Robinson-Crusoe-Spielkann jeder selbst überlegen, was er in einer solchen Situation aufgrund von (Berufs-)Erfahrungen an Überlebenswissen beitragen könnte, wie viel oder wie wenig. Was beherrscht man noch an elementaren Fähigkeiten, die zur Entwicklung der Gesellschaft geführt haben, in der wir heute leben? Das Spiel führt einem schonungslos vor Augen, wie wenig wir in der Regel noch eigenhändig können, da wir hauptsächlich verständnislos konsumieren.
    Als der englische Schriftsteller und einstige Kaufmann Daniel Defoe seinen Roman 1717 veröffentlichte, wollte er damit übrigens nicht nur das spannende Leben eines Abenteurers zu Papier bringen, wenn die Öffentlichkeit das Werk auch so wahrnahm. Es ging Defoe auch um eine Kritik an der Gesellschaft, ein Eingehen auf eine Problematik, die uns noch heute beschäftigt, nämlich die Entfremdung von den Dingen, die mit der Entwicklung der Zivilisation einhergeht.

Hingabe, Sorgfalt und Erfolg
    Der Handarbeits- und Werkunterricht in den Schulen ist in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger direkt durch Medienerziehung ersetzt worden. Das ist in heutigen Zeiten durchaus sinnvoll. Außerdem sind Computer ja auch weniger gefährlich als Werkbänke. Bildungspolitiker fordern eine Erziehung für die moderne Welt, Erziehung zur Selbstständigkeit wird aber dabei allzu oft einseitig als erlernter Umgang mit technischenKommunikationsmitteln verstanden.
    Manuelles Tun hat einen schlechten Leumund – zumindest noch bis vor kurzer Zeit. Das Bewusstsein nimmt zu, dass mit dem erlernten Herstellen mit eigenen Händen ein spezifischer pädagogischer Wert verloren gegangen ist. Was im Kindergarten noch vorhanden ist, nimmt angesichts der Stofffülle in späteren Bildungsabschnitten kontinuierlich ab. Zumindest außerhalb der Berufs- und Fachschulen, im Gymnasium.
    Als Kind hatte ich das Fach Werken noch in der Schule. Ich kann mich deshalb so gut daran erinnern, weil ich in der dritten oder vierten

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