Die Kunst des guten Beendens
auch den individuellen Willen, die Rationalität eines Menschen. Beide reichen tief ins Unbewusste, ins Schicksalhafte, in den existentiellen Bereich von Leben und Sterben. Trennung und Bindung können gesund oderkrank sein, beide können positiv oder negativ erlebt werden. Beide können Angst auslösen, doch wird die Angst meistens mit Trennung verbunden. Bindung suggeriert eher positive Gefühle.
Die Natur macht es uns vor: Zerstörung und Wiederherstellung, Trennung und Bindung, Anziehung und Abstoßung, Vereinigung und Destruktion, Leben und Tod. Bisher ist nach jedem Winter immer wieder ein Frühling gekommen. Die Abfolge der Jahreszeiten bedeutet eine Geschichte von Bindung und Trennung, von Tod und Auferstehung.
Wir essen – und im Essen zerstören wir die Nahrung, das sorgfältig zubereitete Essen, wir verleiben es uns ein und geben die Reste in verarbeiteter Form wieder von uns. Oder: Sexualität enthält im innigen Wunsch nach Verbindung und Verschmelzung andrerseits auch Aggression. Ein Sexualakt kann zur Schwangerschaft führen, zur Bindung an ein Kind, das im Körper der Frau heranwächst und durch die Geburt von diesem Mutterkörper getrennt wird. Die erste Erfahrung von Trennung in einem Menschenleben ist die Geburt, die Ent-Bindung des Kindes von der Mutter. Freud bezeichnete den Geburtsakt als »das erste Angsterlebnis und somit Quelle und Vorbild des Angstaffektes«. 10
Bindung und Trennung sind eng miteinander verschränkt. »Die Melodie des Abschieds kann aus leise-sehnsüchtig rufenden Tönen oder aus ohrenbetäubenden Dissonanzen bestehen. In ihr mischen sich Libido und Aggression, wie in der Liebe.« 11 Wenn es nicht um den Tod – den endgültigen – geht, dann geht es beim Beenden auch um ein Freiwerden für neue Bindung(en).
Trennung bedeutet immer auch Entwicklung, wenn wir uns ihr wirklich stellen.
Beenden ist ein Bejahen, sich eine Trennung zu erlauben und sich eine Trennung zuzumuten. Beenden ist psychische Arbeit im Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die eigene Entwicklung. Es ist immer mit Ängsten und Schmerzen verbunden, es ist eine Erfahrung von Verlust und Trauer.Trauern ist eine Fähigkeit, einen Menschen, etwas Geliebtes loszulassen. Anzunehmen, was ist. Loszulassen, was ist. Offen sein für Wandlung. Offen sein für die Liebe, die eine Leere langsam, langsam zu füllen vermag. Beenden und darum trauern bedeuten das Akzeptieren einer Trennung. 12
Trennungserfahrungen zu verarbeiten ist ein wichtiger Bestandteil der psychischen Entwicklung des Menschen. Trennung bedeutet Entwicklung und ist ein Potential. Trennung kann auch ein Trauma sein. Bei frühen kindlichen Bindungsstörungen können sich Trennungen traumatisch auswirken. Bindungsgestörte Kinder und Erwachsene sind bei anstehenden Trennungen verletzlicher und gefährdeter.
Kindliche Bindungsmuster
Das unselbständige Neugeborene wie auch das Kleinkind brauchen Schutz, Fürsorge, Geborgenheit und Liebe. Die Bindung an eine oder mehrere Personen, die diese Fürsorge und Liebe gewähren, ist überlebenswichtig. Bindungen zu entwickeln wird als eine Fähigkeit sowohl des Kindes als auch des Erwachsenen angesehen, die zu einer seelisch gesunden und funktionierenden Persönlichkeit gehört. Das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit durch zuverlässige Personen bleibt lebenslang bestehen.
Bei Erwachsenen werden vor allem in bedrohlichen Situationen die in der frühen Kindheit gemachten Bindungs- und Trennungserfahrungen aktiviert und lösen ein entsprechendes schutzsuchendes Bindungsverhalten aus. Es ist daher sinnvoll, auf die kindlichen Bindungsmuster einzugehen, um die späteren, erwachsenen Bindungs- und Trennungsmuster besser zu verstehen. Trennung im Kindesalter »geschieht« und kann Gefühle von Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit auslösen. Beenden ist ein bewusster Akt. Es macht deshalb Sinn, zwischen Trennung und Beendigung zu unterscheiden. Das Beenden-Können entsteht aus der erworbenen Fähigkeit heraus, mit Trennung umzugehen.
Bindung ist in der Psychologie ein wichtiges Konzept, das in den letzten Jahren zunehmend erforscht worden ist. Folgende Muster von kindlichem Bindungs- und Trennungsverhalten bei einjährigen Kindern wurden betrachtet. Das Verhalten bei kurz dauernden, mehrmaligen Trennungen und beim Wiedersehen mit einer wichtigen Bezugsperson, meist der Mutter, gibt Aufschluss auf das sogenannte Bindungsmuster . Mit einem Jahr haben Kinder bereits ein beträchtliches Wissen über
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