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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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konnte oder später in Beziehungen immer wieder verletzt und enttäuscht wurde, wird er in nahen Kontakten und bei Trennungen immerwieder in Schwierigkeiten kommen. Wächst ein Kind mit überforderten Eltern auf oder in einem Klima von Misstrauen, Gewalt, Bedrohung und Angst, so wird es später Beziehungen vermeiden, weil damit unangenehme und bedrohliche Gefühle verbunden sind. Wir sprechen dann von Beziehungs- und Bindungsschwäche. Das hat negative Auswirkungen auf die Fähigkeit, loszulassen und beenden zu können.
    Jede Bindung, die eingegangen wird, trägt natürlicherweise schon die Loslösung in sich. Erst wenn eine Loslösung geschieht, kann eine neue Beziehung eingegangen werden. Eine Loslösung ist immer mit Angst, Schmerz und Trauer verbunden. Das kleine Kind strebt im Normalfall von sich aus zur Unabhängigkeit. In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres beginnt sich das normale Kind von der Mutter zu lösen. Gelingt diese Ablösung nicht, weil nie eine wirkliche Bindung bestand oder weil die Mutter das Kind festhält, so wird es sich nie wirklich von ihr trennen können und auch später in Abhängigkeitsstrukturen leben.
    Trennungsangst gehört unabdingbar zur menschlichen Entwicklung. Extreme Trennungsangst weist auf eine mangelnde Bindungsfähigkeit und nicht gelebte Trauer hin. Auf jeder neuen Entwicklungsstufe (gehen lernen, sprechen lernen, zunehmend selbständiger werden) sieht sich das Kind mit dem Bindungs- und Trennungskonflikt bzw. dem Abhängigkeits- und Autonomiekonflikt mit wieder anderen, neuen Inhalten und Anforderungen konfrontiert.
    Die Entwicklungsphasen im Verlauf eines Lebens können im Lichte dieses Abhängigkeits- und Autonomiekonflikts betrachtet werden. Bindung in Eigenständigkeit zu erleben ist der Glücksfall. Bindung um den Preis der Selbstaufgabe zu erleben ist eine lebenslange Hypothek. So wie frühe Bindungserfahrungen einen Menschen prägen, tun es die frühen Trennungserfahrungen. Frühe traumatische Trennungen erzeugen Angst vor neuen Bindungen und neuen Trennungen. Deshalb ist es in einer solchen Situation für das betreffende Kind oder den späteren Erwachsenen so wichtig, schmerzlicheErfahrungen für sich selbst, in einer tragfähigen Beziehung oder in einer Psychoanalyse oder -therapie aufzuarbeiten.
Wenn nichts mehr geht – Krisen des mittleren Alters
    Ich werde nie lernen, Abschied zu nehmen, dachte er. Niemals. Jeder Abschied birgt eine Bedrohung.
    Henning Mankell

    Nicht alle Menschen erleben in der Mitte des Lebens eine Krise. Es ist aber unübersehbar, dass die Lebensmitte bei vielen Menschen Sehnsüchte und Ängste weckt, die sich zu einer Krise verdichten. Die einen erleben sie in den Jahren zwischen dreißig und vierzig, die anderen erst gegen fünfzig. Die Jahre um vierzig sind für die meisten Frauen und Männer eine große und neue Herausforderung. Die Hälfte der zu erwartenden Jahre ist abgelaufen. In der Regel stehen die Menschen persönlich und beruflich auf dem Gipfel ihrer Verantwortung und Arbeitsauslastung oder empfinden es als schmerzlich, wenn es nicht so ist. Es gehen persönliche Beziehungen in die Brüche und manche tun sich mit den anstehenden Veränderungen meist schwer. Sich verlieben und sich entlieben wie auch Depression, Burnout und Arbeitslosigkeit sind dabei die zentralen Themen.
    Es kann sich herausstellen, dass gewisse Träume, die bisher bestanden haben, möglicherweise nicht mehr realisiert werden können. Gewisse Sehnsüchte sind immer noch nicht in Erfüllung gegangen. Es ist eine Zeit des Bilanzierens und des Abwägens dessen, was bisher möglich war und was noch möglich werden könnte. Es kann die Einsicht entstehen, dass man nicht das Leben lebt, das einem immer vorschwebe.
    Die Mitte des Lebens ist ein Wahrheitstest. Etwas beginnen und etwas beenden erscheinen in einem neuen Licht. DaBeschränkungen am Lebenshorizont sichtbar werden, wollen die bisherigen Bindungs- und Trennungserfahrungen neu geordnet werden.
    Vergegenwärtige ich mir die Leiden, mit denen Menschen in eine Beratung, in eine Therapie kommen, so liegt das Thema des Beendens sehr oft in der Luft, ist zum Greifen nahe. Da sind Verstrickungen in Beziehungen, ein Leiden an festgefahrenen Konflikten, ein dumpfes Unglück, eine völlige Blockade. Oder es ist ein Schicksalsschlag, der einen Menschen auf eine Weise reagieren lässt, die er schon längst überwunden glaubte.
    Obwohl das Beenden zu jeder Lebensgeschichte gehört, wehren sich viele dagegen. Der

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