Die Kunst des guten Beendens
Verzweiflung breit. Zumal in einem Alter, in dem die Möglichkeiten einer neuen Beziehung und einer neuen Berufsstelle zu schwinden scheinen. Wenn »außen« nichts mehr gelingen will, ist ein Mensch auf das »Innen«, auf sich selbst zurückgeworfen. Anna und Werner erleben den schmerzvollen Rückzug bzw. die Trennung von ihrer Fixierung auf unerreichbare Liebesobjekte und wenden sich aus der Not heraus sich selbst zu. In der Übernahme der Verantwortung für ihr eigenes Leben entwickeln sie Ressourcen: Anna wechselt die Stelle und wendet sich ihren inneren Konflikten zu. Werner entschließt sich aus einer tiefen Erschöpfung heraus zu einer Auszeit in der Klinik und entwickelt im Schonraum die Arbeit an sich selbstund an seinen verschütteten Möglichkeiten. Beenden-Können signalisiert Entwicklung.
Das Wort »Midlife-Crisis« hat sich im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt, selten spricht jemand von der »Lebensmitte-Krise«. Der englische Begriff scheint eine wohltuende Distanz zu schaffen.
Die Beispiele von Anna und Werner zeigen, dass es in dieser Krise um Trennungsangst, ja Todesangst geht, darum, von den Freuden des Lebens und von geliebten Menschen getrennt zu werden. Vielleicht wird in der Mitte des Lebens das Ende des Lebens gefürchtet. Es rückt näher, und die Erfüllung ist nicht in Sichtweite. Trennungsangst blockiert – auch notwendiges – Beenden. Die Psychotherapie kann in solchen Verzweiflungen nicht zuletzt durch die Anerkennung und Würdigung des Lebensprinzips und der Einzigartigkeit jedes Menschen ermutigend wirken. Beide, Anna und Werner, sind dabei, in intensiver Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft und im Gespräch mit ihren Eltern die Verletzungen und Ressourcen der frühen Lebensjahre Revue passieren zu lassen und neue Flexibilitäten einzuüben.
Beenden: Schritt für Schritt
Schritt für Schritt – nichts kann übersprungen werden.
Das Beenden einer Beziehung – zu einem Menschen, zu einem Ort, zu einem Beruf, zu einer Lebensform – geschieht in der Regel nicht abrupt, sondern in Phasen und über die Zeit. Es kann damit beginnen, dass man in gewissen Momenten dumpf ahnt, dass eine Beziehung nicht mehr stimmt. Diese Ahnung kann jahrelang mehr oder weniger erfolgreich verdrängt werden. Man mag sich einreden, dass es doch gar nicht so schlimm ist. Vielleicht hat man zwischendurch Krisen, die wieder vorübergehen. Jeder Mensch erlebt Krisen.Man muss deswegen nicht alles wegschmeißen. Was käme überhaupt danach?
Wenn die Ahnungen häufiger auftauchen und intensiver werden, will etwas wahrgenommen werden. Ein Unglück will gesehen werden. Etwas, das ganz und gar unerträglich geworden ist, will anerkannt werden. Einem Menschen wird bewusst, dass er in seinem Leben etwas beenden müsste, damit das Leben weitergeht, damit er sich weiterentwickeln kann. Dieses Wahrhaben einer blockierten Entwicklung, eines gehemmten Wachstums ist ein weiterer Schritt. Auch das Wahrhaben kann lange verdrängt werden, weil die Angst vor dem Beenden zu groß ist.
Diese Angst kann von Zorn und Wut darüber abgelöst werden, dass es so ist, wie es ist. Es können viele Fragen auftauchen, weshalb es so gekommen ist. Fragen, die sich auf das ganze bisherige Leben beziehen. Das kann zu einem Hadern führen, dazu, dass man mit dem Schicksal verhandeln will. Muss es sein? Muss ich diese Beziehung beenden, damit ich weiterkomme mit mir selbst? Muss ich dieses Haus verlassen, weil es meine Kräfte und meine finanziellen Möglichkeiten übersteigt? Muss ich trotz tausender Ängsten die Stelle oder vielleicht sogar den Beruf wechseln, weil ich am jetzigen Ort nicht nur keine Entwicklungschancen mehr sehe, sondern jeden Tag neue Niederlagen und Misserfolge einstecken muss?
Zum Beenden gehört möglicherweise Depression – wenn sich Zorn, Wut und Hader gegen einen selbst richten. Es kann versucht werden, die Depression zu behandeln: mit selbstverordneten Schlafmitteln, mit exzessivem Rauchen, mit Alkoholkonsum, mit Antidepressiva und einer Psychotherapie. C. G. Jung hat einmal das Bild der Depression als eine schwarz gekleidete Dame verwendet, die bei der depressiven Person an die Tür klopft und Einlass und Gehör finden möchte. Die schwarz gekleidete Dame bringt eine Botschaft mit, die der depressiven Person möglicherweise Aufschluss darüber zu geben vermag, was mit ihr los ist. Depressionmacht unendlich müde und völlig mutlos. Manchmal muss ein Mensch ein extremes Maß an Müdigkeit und Mutlosigkeit
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