Die Kunst des guten Beendens
nicht weitergehen kann. Das aktuelle Leiden bleibt unverstanden. Dabei besteht das Risiko, es immer wieder zu wiederholen. Manchmal gelingt es durch eine neue Beziehung bzw. durch eine gelingende Psychotherapie, das aktuelle Leiden mit den verschütteten Erinnerungen zu verbinden. Damit wird ein weiteres Wachstum erst ermöglicht.
»Ich bin blockiert« – als Mischung von Ambivalenz, Angst und Schuld
Entscheiden und wählen bedeuten, etwas zu verlieren oder zu verlassen.
Häufig wird eine Therapie begonnen, wenn Unerledigtes und Unverständliches ansteht, das einen selbst betrifft wie auch Beziehungen. Es quälen immer wiederkehrende Träume, Wiederholungen in Beziehungen, Grübeln und kreisende Gedanken, Schlafstörungen, Lustlosigkeit, depressive Verstimmungen. Man hängt fest und leidet, fühlt sich wie der Hamster im Rad – und möchte doch etwas verändern und aufbrechen. Aber man hat keine Ahnung, wo das Problem liegt und wo man es anpacken könnte. Das aktuelle Gefangensein scheint auf Erlebnisse zu verweisen, die nicht genügend erkannt und verarbeitet worden sind und nun wiederkehren. Die verletzte Seele meldet sich immer wieder, hartnäckig und schmerzhaft, mit Angst vor Trennung, Angst vor Verlassenheit, Schuldgefühlen.
Trennungsambivalenz, Trennungsangst und Trennungsschuld können sich in einer Blockade des Entscheidens und Handelns verquicken, wie das folgende Beispiel zeigt.
Elvira, 48-jährig, verheiratet, ohne Kinder, erzählt von den ewigen Streitgesprächen mit ihrem Mann. Sie ist Perfektionistin und ihr Mann ist ein Chaot. Das erfordert immer wieder Klärungen und Abgrenzungen. Doch selbst dann, wenn die beiden sich schließlich in einer Sache geeinigt haben, trägt Eva den Konflikt in sich weiter, tagelang, sie quält sich, kann ihn nicht loslassen. Sie fängt an zu grübeln. Hat sie alles gesagt, was für sie notwendig war? War sie ehrlich sich selbst und ihrem Mann gegenüber? Hat sie Angst, ihren Mann zu verlieren, oder möchte sie sich trennen? Spielen Schuldgefühle mit, die sie für sich nicht klären kann? Ihr schmerzliches Gefühl ist ihr ein Warnsignal: »Etwas stimmt nicht, ich hänge fest, ich kann nicht loslassen, und das muss seinen Grund haben.«
Mit der Zeit beginnt Elvira langsam, aber sicher zu verstehen. Die Einigungen am Schluss der Streitgespräche sind für sie faule Kompromisse. Sie glaubt längst nicht mehr an eine gute Lösung im Zusammenleben mit diesem so unterschiedlichen Mann, doch das gesteht sie sich erst in der Therapie ein.
Nach dem nächsten Streit nimmt sie ganz bewusst ihr »Festhängen« wahr. Sie verweilt bei diesem Gefühl. Sie will ihm standhalten. Sie will darauf achten, welche weiteren Gefühle in ihr auftauchen. Sie will sich keine Vorwürfe machen, sondern ihr Festhängen annehmen, wie es ist. Und es ist schlecht auszuhalten. Insgeheim beschimpft sie ihren Mann und erklärt ihn für an ihren schlechten Gefühlen schuldig. Sie spürt Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit. Und vor allem versteht sie sich selbst nicht mehr. Was will sie eigentlich?
Elvira will keine faulen Kompromisse mehr. Die nächsten Ferien werden nicht gebucht, weil sich die beiden nicht auf ein Ferienziel einigen können und weil gar kein Geld da ist. Jeden Abend schläft ihr Mann nach dem Abendessen vor dem Fernseher ein. Elvira mag diese langweiligen Abende nicht mehr. Es wird ihr bewusst, dass sie nie richtig verliebt war, sondern dass sie, als sie diese Beziehung einging, auf die vierzig zuging und Torschlusspanik hatte. Und doch hat sie diesen Mann auf eine ihr unerklärliche Art lieb gewonnen.
Die Ambivalenz hält sie für weitere, lange Monate gefangen. Ein Liebhaber hilft ihr ein Stück weit über die eheliche Langeweile und die faulen Kompromisse hinweg. Doch jetzt, wo sie dies erkannt hat, hilft ihr auch diese Liebschaft nicht weiter. Elvira will sich entscheiden. Doch sie hat eine übergroße Angst, allein zu sein. Und sie ertrinkt fast in Schuldgefühlen und Mitleid für ihren gutmütigen Mann. Schließlich kann sie sich dazu aufraffen, ihm von ihrem Dilemma zu erzählen. Er ist schockiert.
Elvira ist als Bauerntochter aufgewachsen. Sie hat wenige Erinnerungen an früher. Sie kann sich aber erinnern, als Kind vom Vater mit dem Stock auf den Hintern geschlagen worden zu sein. Daran hat sie eine ausgesprochen ambivalente Erinnerung. Wenn sie die Nähe ihres Vaters suchte, musste sie sichseinem unerbittlichen Gesetz unterwerfen. Sie wagt nicht, bei den Eltern und
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