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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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verhöhnt ihre Interventionen, ihre Versuche, auch die Medikamente. Nichts, gar nichts war gut und nichts hat geholfen. Die Therapeutin beschließt, stillzuhalten und zuzuhören. Rahel ist so erregt, dass es keinen Sinn machen würde einzugreifen. Dies entspricht offenbar auch einem üblichen Szenario der Patientin. Am Schluss verabschiedet sie sich kaum von der Therapeutin und geht schnell weg. – Danach herrscht monatelang Funkstille. Die Therapeutin schließt den Fall ab.
    Weitere Monate danach sitzt die Therapeutin in der Straßenbahn. Da steht Rahel vor ihr und begrüßt sie freundlich. Sie wisse, dass sie einen sehr abrupten Abschluss der Therapie inszeniert habe, aber es sei ihre einzige Möglichkeit gewesen, diese zu beenden. Sie habe auch keine Medikamente mehr genommen und es gehe ihr gut. Sie erinnere sich immer wieder an Sätze, die sie in der Therapie gehört habe, und sie seien ihr hilfreich gewesen. Sie danke vielmals für alles. Es habe ihr gutgetan. Und weg ist sie.
    Rahel hat ihren eigenen Weg gewählt, um mit Gefühlen von Abhängigkeit und ihrer Angst und Panik vor drohender Trennung umzugehen. So ist es vermutlich auch mit den Beziehungen zu den Vätern ihrer Söhne gelaufen. Die nachträgliche zufällige Begegnung zeigt, dass es für Rahel offenbar gut war, die Therapie so abzubrechen. Für die Therapeutin war es schwierig, doch sie hat sie gewähren lassen. Rahel hat beim besten Willen keine andere Möglichkeit wahrnehmen können. Angst und Panik bei phantasierter oder realer Trennung lassen immer wieder abrupte Lösungen wählen. Oder sie lassen ganz und gar unglücklich im Ungeliebten, Unmöglichen verharren.
Schuld und Schuldgefühle
    Schuldgefühle sind eine Mischung aus Furcht, Ängstlichkeit und Besorgnis, die Zuneigung oder Anerkennung anderer Menschen zu verlieren. Das Schuldgefühl zentriert sich um die Sorge, etwas getan zu haben oder tun zu können, was die Liebe eines geliebten und benötigten Menschen beeinträchtigt. Schuldgefühle greifen mit ihrer zerstörerischen und lähmenden Kraft das Selbstwertgefühl massiv an. Sie sind eine Art Selbstverletzung, sie erregen Selbstmitleid, binden an die Vergangenheit, an einen Menschen, demgegenüber man sich schuldig fühlt, und halten einen selbst (oft unbewusst) im Opferstatus fest. Man kommt nicht los, man ist gefangen.
    Schuld ist ein Grundphänomen menschlicher Existenz.Durch das Menschsein sind wir in Beziehungen verstrickt und machen uns dadurch schuldig: uns selbst und anderen gegenüber. Es sind nicht Schuld-Taten, die verübt werden, es ist vielmehr die schuldhafte Verstrickung in menschliche Existenz. Leben heißt schuldig werden. Demzufolge sprechen wir von Schuld gefühlen – nicht von realer Schuld.
    Aus der Trauma-Therapie ist bekannt, dass die reale Schuld eines Täters, der seine Tat nicht anerkennt, zum Schuldgefühl des Opfers wird, das zwar unschuldig ist, jedoch häufig eine Mitschuld spürt. Sich als Opfer fühlen bedeutet eine Schuldzuweisung an den Täter. Dies ist in vielen Fällen aus der Sicht des Opfers durchaus berechtigt. Wird jedoch in der Opferrolle verharrt, kann sich das Opfer nicht vom Täter lösen und beeinträchtigt die Gestaltung des eigenen Lebens. Damit entsteht beim Opfer aus der Schuldzuweisung eine Schuld sich selbst gegenüber, nämlich die Vernachlässigung des eigenen Wachstums.
    Dasselbe findet in Partnerbeziehungen statt. Die permanente Kritik am Partner als dem in einer Beziehung Schuldigen wehrt die Verantwortung für den eigenen Anteil an den Problemen und für die eigene Entwicklung ab. Die Tatsache, dass man jemand anders als Sündenbock bezeichnet, lenkt von sich selbst ab. Ein Mensch fühlt sich und macht sich zum Opfer.
    Leider ist der Opferstatus verhängnisvoll. Ein Opfer fühlt sich von den Umständen abhängig. Es fühlt die Verletzung und leidet daran. Die Identifizierung mit der Verletzung fesselt an den Täter. Schuldgefühle machen die Wut unmöglich, die vielleicht erlauben würde, sich zu trennen. Es ist eine große Entscheidung, nicht in Leiden und Selbstmitleid zu versinken und die Opferphase zu beenden. Es ist die Erkenntnis, dass ›man‹ oder ›frau‹ mehr ist als seine Verletzungen und dass man sich als Mensch Achtung und Respekt verschaffen kann. Oft gelingt es jedoch trotz vieler Anläufe nicht, aus der Opferrolle auszusteigen und aktiv zu werden.
    Sich schuldig zu fühlen meint, dass man eine schlimme Sache selbst bewirkt hat und dass man vielleicht die

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