Die Kunst des guten Beendens
Geschwistern nachzufragen. Ihre Erinnerungen setzen in der frühen Pubertät ein, wo sie ausgesprochen promiskuitiv lebte, ohne Wissen der Eltern, wie sie meint. Heute hat sie mit ihren Eltern, insbesondere mit ihrem Vater, ein sehr nahes und zärtliches, fast kindliches Verhältnis.
Elvira erzählt von ihren äußerst gewalttätigen Träumen, in denen sie abwechselnd die Täterin und das Opfer ist. Die Träume sind ihr fremd. Nur sehr zögerlich freundet sie sich mit dem Gedanken an, diese Träume als ihre Werke und sich selbst als die Regisseurin ihrer Träume zu verstehen. Sie merkt, dass das Traumerleben immer öfter zu ihrem Tagerleben und ihren Phantasien passt. Mit ihrem Liebhaber hat sie ein ausgeprägt sadomasochistisches Verhältnis. Sie lässt sich demütigen und erniedrigen und hat das bisher als »normal« erlebt. Im Wachzustand hat sie ihre Gewalttätigkeit im Griff. Sie erzählt jetzt, dass sie abends im Fernsehen schlimme Horrorfilme schaue und dabei Erleichterung verspüre. Sie kann damit einen Teil ihres inneren Dramas in den Film projizieren. Und die anderen sind die Missetäter, nicht sie. Sie muss sich die Hände nicht schmutzig machen und darf sich abreagieren. Doch auch das verliert mit zunehmendem Bewusstsein seinen Reiz.
Sie will sich zwischen Ehemann und Liebhaber entscheiden. Sie habe die Doppelspurigkeit ausgereizt und ausgelebt, und es interessiere sie nicht mehr. Sie realisiert, dass ihr Liebhaber nicht in ihre Familie passt, und entscheidet sich für ihren Mann. Zu ihrer großen Überraschung erlebt sie einen enormen Energieschub, sie sucht und findet eine Stelle, sie räumt zügig das Haus auf. Und sie gesteht, dass es ihr immer noch langweilig sei mit ihrem Mann, aber dass sie sich richtig entschieden habe.
In einer nächsten Therapiestunde erzählt sie, wie ihre Mutter sie gefragt habe, ob die Therapeutin mit ihr zufrieden sei. Das sei nicht der Punkt, habe sie ihr entgegnet. Und dann sei es wie Schuppen von ihren Augen gefallen. Sie habe ihr bisheriges Leben gelebt, um andere zufriedenzustellen. Sie wollte immer eingutes Kind sein. Nun habe sie gemerkt, dass sie ein eigenes Leben brauche, Freunde, eine gute Stelle und vor allem die Verbundenheit mit ihrer Herkunftsfamilie. So könne sie auch mit ihrem Mann weiterleben und gut zu sich sein. Da sie viel Sicherheit brauche, nehme sie die Nachteile dieser Wahl auf sich. Sie habe noch nie so viel Energie gespürt wie jetzt.
»Das Leben ist ein fauler Kompromiss«, »Meine Gedanken engen mich immer wieder ein« oder »Ich bin nicht sicher«, »Es ist alles unsicher« oder »Das Leben ist nicht fair« – das sind alltägliche Eingeständnisse unter Freunden oder in einer Psychotherapie. Sowohl Ambivalenz als auch Angst und Schuldgefühle hemmen Menschen, mutig einen Schritt aus einer Blockade, aus einem Gefangensein zu wagen und damit die Widerstände auf eigene Verantwortung hin zu beenden:
Ambivalenz: Man weiß es eben nie ganz genau, ob dieser Mann oder diese Frau die richtige Person ist; ob die gewählte Ausbildung das hält, was man sich wünscht.
Angst: Was dann, wenn etwas Geplantes nicht gelingt und nicht das Richtige ist? Hat man dann die Kraft, einen weiteren Schritt zu wagen?
Schuldgefühle: Trägt man der Verantwortung gegenüber der Familie, den Kinder, den Kollegen wirklich Rechnung? Macht man genug? Ist man gut genug? Darf man sich gewisse Freiheiten nehmen?
Es ist oft schwierig, die eigene Verantwortung schlüssig zu klären. Katie Byron (Byron & Mitchell 2007) hat einen Weg aufgezeigt, um die Gedanken, die einen im Leiden und in der Blockade verharren lassen, zu prüfen. Sie unterscheidet, und das ist wichtig, zwischen einer belastenden Wirklichkeit (Krankheit, Verlust, Blockade) und den Gedanken, die sich ein Mensch dazu macht. Für Byron sind es die Gedanken , die einen Menschen leiden lassen, und nicht die Wirklichkeit. Ihr gemäß kann man lernen, den Gedanken mit Verständnis zubegegnen und sie zu »prüfen«. Sie schlägt dazu verblüffend einfache Fragen vor (in Klammern meine Ergänzungen):
Stimmt das, was ich denke? (Dass ich etwas nicht kann, nicht darf, nicht weiß, nicht sicher bin, dass ich leide.)
Kann ich absolut sicher wissen, dass es stimmt? (Dass ich nicht kann oder darf – man weiß es eben nie absolut sicher.)
Wie reagiere ich auf diesen (meinen) Gedanken? (Ich bin blockiert, wage nicht, etwas zu tun.)
Wer oder was wäre ich ohne diesen Gedanken. (Ich wäre möglicherweise erleichtert, ich würde
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