Die Kunst des guten Beendens
Konkubinat, beides mit Kindern oder (freiwillig oder unfreiwillig) kinderlos, geschiedene Mütter und Väter, Scheidungskinder, Alleinerziehende, Erwachsene mit und ohne Kinder in Wohngemeinschaften, Stieffamilien in vielfältigen Ausprägungen mit Stiefkindern und allenfalls gemeinsamen Kindern – auch als Patchwork- oder Fortsetzungsfamilien bekannt. Das Aufbrechen der bisherigen Selbstverständlichkeiten erzeugt Wahrnehmungs- und Benennungsschwierigkeiten und eine Unsicherheit darüber, wer nun zu wem und wohin gehört. Insbesondere Kinder haben sich in neuen Situationen zurechtzufinden, ohne dass sie selbst eine Entscheidung dazu getroffen haben.
Ist eine Scheidung erfolgt, ist die häufigste Familienform der »Eineltern«-Familienhaushalt; gemäß Scheidungsvereinbarung wird mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil kooperiert. Wenn eine neue Familie gegründet wird, haben mindestens einer der Partner und seine Kinder eine Trennung hinter sich. Das Gelingen einer neuen Familie hat wesentlich mit der Verarbeitung der vorangegangenen Trennung zu tun. Im gelingenden Fall entwickeln sich neue Familien – die mehrere Haushalte umfassen können – zu »Aushandlungsfamilien«, in denen alle Betroffenen gemäß ihren Bedürfnissen ihren Platz kommunikativ ver- und aushandeln können.Ein vorangehendes Beenden einer Form des Zusammenlebens, nicht aber der Beziehungen, eine angemessene Trauer- und Versöhnungsarbeit tragen zu einem besseren Gelingen bei. Flexibilität und Dynamik sind wichtige Ressourcen von neuen Familien.
Wer von Patchworkfamilien spricht, betont die Gegenwart und den Flickenteppich, die bunte, vielfältige Zusammenfügung von Menschen unterschiedlichen Alters und unterscheidlicher Herkunft. Der Begriff Fortsetzungsfamilie betont das Gewesene und Gewordene, die Beendigung des bisherigen Zusammenlebens und die darauf folgenden Fortsetzungen. 49
Es wird unweigerlich komplex, wenn eine neu zusammengesetzte Familie beschrieben wird. Ein Beispiel: Die 19-jährige Alice, die mit dem Vater, ihren Geschwistern, mit seiner neuen Frau und deren Kindern zusammenlebt, unterscheidet klar zwischen ihrem Bruder, ihrer Schwester und ihren Halbbrüdern. Sie macht zwar ihre Mutter für die Trennung der Eltern verantwortlich und lehnt zurzeit den Kontakt mit ihr ab. Sie will trotzdem keine zweite Mutter mehr. Sie nennt sie beim Vornamen und redet von ihr als von der neuen Frau ihres Vaters.
So wie Alice das komplexe Patchwork auf ihre subjektive Weise erlebt, tun dies auch die anderen: jedes Familienmitglied erlebt eine andere, eben subjektive Familie.
Das Familiensystem nach einer Scheidung ist immer größer als ein Familien haushalt . Leibliche Eltern außerhalb des neuen Familienhaushalts gehören mit dazu. Beenden betrifft eher einen Familienhaushalt und nicht zwingend die Beziehungen. Die Entscheidung zum Beenden wird von den Erwachsenen gefällt. Die Kinder haben sich neu zu orientieren . »Du hast mir nichts zu sagen, du bist nicht mein richtiger Vater« – dieser Satz betont die Loyalität des Kindes zum leiblichen Elternteil außerhalb des neuen Haushalts, und dasselbe gilt für: »Ich will, dass meine Mutter auch zum Schulfest eingeladen wird. Sie gehört zu mir«. »Ich sage immer, ich habe zwei Mütter, und ich habe beide gern. Die eine ist eben meineMutter. Und die andere, ja, sie könnte eine ältere Schwester von mir sein. Es gehören nun beide zu meinem Leben«; ein solcher Satz zeigt eine gelungene Integration. »Ich möchte auch bei meinem Papi wohnen und nicht nur bei euch«, meint den Wunsch eines Kindes, beide leiblichen Eltern gleichermaßen zu berücksichtigen.
Trauer ermöglicht, all das, was geschah, anzunehmen und ins eigene Leben zu integrieren. Das betrifft auch das, was nicht möglich war. Der Trauerprozess bei Trennungen braucht Zeit und wird oft in immer wiederkehrenden Schlaufen nach und nach vollzogen. Es betrifft Eltern und Kinder, doch die Eltern haben den Kindern voranzugehen. Im Trauern können sich beide Seiten nach und nach von den Enttäuschungen, Erwartungen und Illusionen der Vergangenheit lösen und sich der Gegenwart zuwenden. Trauer ermöglicht Versöhnung im Sinne der Bejahung der Trennung und der Einsicht der Eltern in die eigenen Anteile am Scheitern der Beziehungen. Dies ist wichtig, um den Kindern nicht Probleme/Schuld- und Rachegefühle weiterzugeben, die Sache der Eltern sind und von ihnen zu bewältigen sind. Versöhnung mit sich selbst bedeutet, nicht ewig
Weitere Kostenlose Bücher