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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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Gesellschaftsordnung, die das Bedürfnis des Menschen nach Stabilität so sehr vernachlässige, nicht von Bestand sein könne. 48 Die Loyalität zu einem Betrieb spielt eine andere Rolle als noch vor ein, zwei Jahrzehnten. Der Arbeitsvertrag bezieht sich auf ein kurz- bis mittelfristiges Tauschgeschäft: Leistung gegen Lohn, Kompetenzzuwachs und Beförderung. Der heutige Arbeitnehmer muss seine eigenen Interessen fördern. Wenn Lohn und Förderung stimmen, bleibt man, sonst muss man sich neu orientieren. Commitment ist in vielen Branchen nicht mehr an die Identifikation mit einem Betrieb gebunden, sondern an Eigeninteressen. Überhaupt fällt vielen Unternehmen wenig Sinnvolles ein, um motivierte Mitarbeiter an sich zu binden. Materielle Entschädigung reicht nicht, damit sich ein Mensch respektiert und geachtet fühlt.
    Ein Beispiel: Matthias hat vierzig Jahre lang in derselben Baufirma gearbeitet. Er gab sein Bestes und fühlte sich im Betrieb akzeptiert. Als er mit 65 Jahren in Pension ging, geschah nichts. Er wurde verabschiedet wie eh und je. Kein Dank, kein Geschenk, nichts. War das möglich? Offensichtlich.
    Ihm fehlte das wechselseitige Beenden einer lebenslangen Berufstätigkeit. Gemeinsam mit seiner Frau organisierten die beiden spontan einen kleinen Aperitif in ihrer Wohnung und feierten mit den engsten Berufskollegen die Beendigung von Matthias’ Berufsleben. Nun konnte Matthias beenden.
    Schnelle Wechsel gehören zum modernen Leben – im Beruf wie auch in privaten Beziehungen. Identifikationen finden nur noch bedingt statt. Es lässt sich eine Strategie des begrenzten Sich-Einlassens feststellen. Man blendet das Umfeld aus, konzentriert sich auf die Situation, mobilisiert alle verfügbaren Kompetenzen, um eine Aufgabe zu lösen bzw. eine Beziehung zu leben. Mehr ist oft nicht notwendig, um erfolgreich zu sein. Menschen, die sich beruflich undprivat nur begrenzt einlassen, können besser abbrechen, nicht wirklich beenden.
    Beunruhigend stimmt es, dass zunehmend mehr Menschen am Arbeitsplatz verzweifeln bzw. psychische Störungen entwickeln. Es ist schon länger bekannt, dass Arbeit physisch krank machen kann (Entwicklung von Krebsformen aufgrund schädigender Substanzen, körperliche Schäden durch Fehlhaltungen, Folgen von Arbeitsunfällen, Invalidisierung etc.). Die psychische Komponente wird erst seit einigen Jahren zur Kenntnis genommen. Mittlerweil ist ein Burnout ein respektabler Grund geworden, um sich in einer Klinik zu erholen, aber auch, um dort entsprechende Ressourcen im Umgang mit Stress zu entwickeln und zu fördern. Resilienz kann heute gelernt werden. Der Burnout (hinter dem sich oft Depression oder Sucht verbergen) betrifft eher die mittleren und höheren Schichten der Berufstätigen. Die Mehrheit der leidenden Berufstätigen entwickelt Depressionen, Süchte und physische Krankheiten aufgrund der Unmöglichkeit, sich über ihr Leiden ausdrücken zu können. Sowohl ein Burnout-Syndrom als auch die erwähnten Depressionen sind eine unbewusste Möglichkeit, das Leiden und den Stress »abzubrechen« – nicht im Sinne des Beendens, sondern im Sinne einer Flucht aus einer unerträglichen Situation. Dasselbe betrifft Selbstmorde aus beruflichen Gründen und den Amoklauf am Arbeitsplatz. Beides kommt immer häufiger vor. Es ist in solchen Krisen angesichts der unmenschlichen Maschinerie nicht rechtzeitig möglich gewesen, die Ressourcen und die Resilienz der Leidenden zu fördern.
Die Ressourcen nach Scheidungen
und in Fortsetzungsfamilien
    So wie sich jeder einzelne Mensch ständig entwickelt, entwickeln sich die Lebensformen, in denen er lebt. Neue Familienformen können als Zeichen einer gewachsenen Flexibilität des heutigen Menschen verstanden werden, auf veränderteLebenswelten, Ansprüche und Wünsche zu reagieren und neue Lebensformen zu erproben.
    Familien wurden schon immer auch von außen geprägt. Wirtschaftliche Entwicklung, Religion, Gesetzgebung und Tradition haben sie geformt und bis heute immer wieder verändert. Die Ehe als lebenslange Partnerschaft, die Familie als Kernfamilie besaßen noch in den sechziger Jahren eine weitgehende Verbindlichkeit für eine Mehrheit von Frauen und Männern.
    In Mitteleuropa wird heute jede zweite Ehe geschieden. Die Scheidungsquote ist seit zwanzig Jahren rasant gestiegen. Begriffe wie Ehe, Familie, Elternschaft, Vater und Mutter verdecken die wachsende Vielfalt von Lebensformen von heute: Es gibt heute eine zweite und dritte Ehe, ein

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