Die Kunst des guten Beendens
resilient. Der Baum beginnt wieder zu wachsen – anders.
In der südafrikanischen schwarzen Kultur sind viele Ressourcen vorhanden, um Resilienz, die Widerstandskraft, zu stärken. Größtenteils wurden sie durch die weiße Apartheid bewusst zerstört. Aber sie sind im Keim noch vorhanden, um zur Erstarkung, Widerstandsfähigkeit und Elastizität des schwarzen und weißen Volkes in Südafrika beizutragen. Die wichtigsten Elemente sollen im Folgenden erwähnt werden. Resilienz hilft, die Notwendigkeit von Beenden zu erkennen.
Spiritualität und Religiosität sind in den südafrikanischen Kulturen stark ausgeprägt. Sie stärken das intuitive Wissen der Menschen, zueinander, zu den Ahnen und zum Universum bzw. zu Gott zu gehören.
Ubuntu bedeutet in Afrika, die menschlichen Beziehungen zu nähren, Gemeinschaft und Solidarität zu leben. Ubuntu bezeichnet das afrikanische Menschenbild, in dem ein Mensch durch den anderen Menschen zum Menschen wird. Der Mensch ist ein zutiefst gemeinschaftliches Wesen: ich bin nicht ohne dich und du bist nicht ohne mich. In Südafrika gehört zu Ubuntu die tiefe Überzeugung, dass die adäquate Antwort auf Hass und Rachegefühle Liebe und ausreichende Güte, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit (kindness) sind. Ubuntu hat in Südafrika den Weg zur Versöhnung bereitet.
Musik und Trommel sind in allen afrikanischen Kulturen omnipräsent. Sie verkörpern alle Sinne, stehen für Lebenskraft und Präsenz. Musik war Teil des Widerstandes in der Apartheid – und ist ein lebendiger Teil der Kultur.
Tanz gehört zum alltäglichen Leben und ist Bestandteil der Versammlungen aller Art – sozial, politisch, religiös. Jeder Stamm hat seinen eigenen charakteristischen Tanz und die dazugehörigen Kostüme. Tanz ist Leben. Tanz ist Ressource zum Überleben.
Der Chorgesang ist ein wichtiger Bestandteil der afrikanischen Kultur. Die Stimmen sind kräftig und laut. Die Lieder und Spirituals werden energievoll vorgetragen und mit Klatschen und Wippen und Stampfen begleitet. Das Gemeinschaftliche, die Zusammengehörigkeit sind stark spürbar und werden mit unerhörter Vitalität gelebt.
Gebete stärken den Geist und verbinden mit Kräften, die größer sind als wir selbst. Dadurch entsteht eine innere Zuversicht, dass niemand und nichts den inneren Kern zu zerstören vermag. Nicht nur Gebete verbinden mit höheren Kräften. Es ist ähnlich beim Geschichtenerzählen.
»Storytelling«. Das Geschichtenerzählen hat bis heute überlebt. Früher saßen die Menschen rund ums Feuer und bannten die bösen Geister und die wilden Tiere. Heute erzählen sie alte und neue Geschichten, weil sie gerne teilen, mitteilen und verbinden. Es ist der Geist des Ubuntu. Geschichten stärken den Geist, unterstützen das Immunsystem, helfen schlechte Gefühle abbauen, beflügeln die Imagination und ermöglichen positive Gedanken und heilende Kräfte. Sie wirken wie Gebete.
Psychotherapie und Traumatherapie sind erst in der Nach-Apartheidszeit für die Schwarzen zugänglich geworden. Ihre Wirkung ist prekär in einer Gesellschaft, die täglich neue Traumen schafft. Doch durch das Erzählen und Zuhören nehmen sie Druck weg, lassen Verständnis und Mitgefühl spüren im Tragen eines Traumas, das kaum zu tragen ist. Dadurch können sich die verborgenen Ressourcen und Selbstheilungskräfte entwickeln. Es gibt auch ein tiefes Wissen bei den afrikanischen Menschen, dass Unrecht und Leiden eine Gelegenheit bilden, um ein besserer Mensch zu werden.
»The way forward«, der Weg vorwärts: Jede Sitzung, jedeTherapiestunde, jede Konferenz in Südafrika endet mit vorwärtsgerichteten Gedanken, das Leben geht weiter. Und alles hat mit einem Gebet begonnen, man wünscht sich den Segen Gottes. Im Beenden, im abschließenden »way forward«, ist der Mensch gefordert.
In so bedrängenden, herausfordernden Kontexten wie Südafrika geht es darum, die innere Freiheit nicht zu verlieren, vielmehr sie immer wieder zu erringen. Durch die innere Loslösung von inneren Verstrickungen mit all den Schrecklichkeiten, Gewalttätigkeiten und Machtstrukturen werden mehr Angstfreiheit und Souveränität erworben. Sie ist ein unabdingbares Werkzeug, um bei so vielen äußeren Zwängen bestehen zu können.
Die südafrikanische Kultur enthält ungeheuer viele Ressourcen, damit sich die Menschen lebendig und zugehörig fühlen können. Die Voraussetzungen zur Entwicklung von Resilienz sind tief in Kultur und Gesellschaft verankert. Nur so ist es zu
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