Die Kunst des guten Beendens
nun Mangos
Groß, oval, grünrot schimmernd, einzigartig
Der wunderbare Frangipanibaum im Garten
Den ich so liebte
Ist endgültig erfroren
Ein trauriger Baumstrunk erinnert an die vergängliche
Pracht
Den anderen Frangipani am Teich, der völlig vom
Feigenbaum verdeckt war
Habe ich befreit – ohne den Feigenbaum zu verletzen
Nun erblicke ich jeden Morgen ein paar neue weißrosa
Blüten
Die ganz sanft duften
So nahe an Tod und Leben
In diesem wunderbaren und schrecklichen Land
Modergeruch und frische Brise vom Indischen Ozean
Schmerzgeheule, Wutausbrüche, Lächeln und Umarmungen
Die Balance ist immer wieder gefährdet
Wenn der Himmel so klar und blau ist
Erlebe ich ihn am einen Tag als unerbittlich
Am andern Tag ist er wunderbar rein
Eine klare Offenbarung
Ein Geschenk des Lebens –
Die Kunst ist, beides zu sehen
Immer wieder der Versuch
Am Morgen aufzustehen
Immer wieder das Glück, in den Tag zu tauchen
Immer wieder Dankbarkeit
Im Fluss des Lebens zu sein
Ein Jahr beginnen
Südafrika, ein paar Jahre nach der Beendigung der Apartheid. Dort habe ich drei Jahre gelebt und gearbeitet. Es gehört zum schwarzen Kontinent, der während Jahrhunderten von weißen Europäern kolonisiert und ausgebeutet wurde. »Der schwarze Kontinent«: bei Sigmund Freud ist es das Sexuelle, das Geschlecht der Frau, das er so benennt. Der schwarze Kontinent Afrika: die Schwärze der Haut der Menschen, die Schwärze des Fremden und Unbekannten, die Schwärze des Unheimlichen. Was bedeutet Beenden in einer solchen Kultur?
Kupferstunde
Die abendliche, kurze tropische Kupferstunde ist von rotgoldener Schönheit. Es ist die kurze Stunde, bevor die Sonne untergeht. Zu Beginn der Kupferstunde ist es heller Tag, am Schluss der Kupferstunde ist es tiefschwarze Nacht.
Die Intensität dieser kurzen Dämmerung bildet die Intensität auf dem schwarzen Kontinent ab. Beginnen und Beenden folgen dicht nacheinander. Licht und Schatten treten immer zusammen auf, keine Freude ohne Leiden, kein Jauchzer ohne Schluchzer. Wärme und Kälte, Trockenheit undÜberschwemmung folgen unmittelbar und so schnell aufeinander, dass es kaum merkliche Übergänge gibt. Die so abrupten Übergänge relativieren das Thema Beenden. Alles ist eins.
Das Erleben der Kupferstunde ist für mich untrennbar mit dem Erleben der afrikanischen Menschen verbunden. Ich erlebe sie in vielem als eins: mit sich selbst und ihren Ahnen, mit sich und den Mitmenschen, mit der Natur. »Ubuntu« wird das afrikanische Gemeinschaftsbewusstsein genannt: Ich bin ein Mensch, weil ich dazugehöre. Ich nehme teil. Ich teile mit anderen. Ich bin, weil du bist, und du bist, weil ich bin.
Es war in Südafrika, dass Nelson Mandela, der schwarze Führer, nach 27-jähriger politischer Haft in südafrikanischen Apartheids-Gefängnissen Anfang der neunziger Jahre ohne Rache und Vergeltungswunsch auf die weißen Unterdrücker zugegangen ist. Er war überzeugt davon, dass sich nun beide Seiten, Unterdrückte und Unterdrücker, befreien mussten – alles ist eins. Er bat um Versöhnung, um beenden und anfangen zu können. Die unterdrückten Schwarzen sind den weißen Unterdrückern entgegengekommen, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Die Versöhnungsbereitschaft entsprang dem afrikanischen Ubuntu. Versöhnung durchdringt als Botschaft der Hoffnung den Kampf für Gerechtigkeit und Menschenwürde. Das Besondere der Situation war, dass viele, nicht alle Unterdrückten bewusst aus ihrer Opferrolle ausgestiegen sind. Und weiße Unterdrücker haben ihre Schuld eingesehen und haben versucht, sich zu ent-schuld-igen. Es sind fast übermenschlich anmutende Kräfte, die Menschen – Opfer und Täter – in dieser existentiellen Situation aufgebracht haben.
Als ich Südafrika verließ, hat mir eine engagierte schwarze Psychotherapeutin gesagt, ich hätte eine schwarze Seele und würde Ubuntu leben. Das war das schönste Geschenk, das ich vom schwarzen Kontinent mitnahm. Alles ist eins. Das Geheimnis davon ist, dass daraus eine große Kraft erwachsen kann. Es macht resilient; man kann beenden, was dem Leben entgegensteht.
Quellen der Resilienz
Durch Aufspüren und Unterstützung der Selbsthilfekräfte eines Menschen kann das Fließen zuvor verschütteter Kräfte erreicht werden. In der englischen Sprache ist »resilient« ein Alltagswort und bedeutet elastisch, federnd und unverwüstlich. Nach einem heftigen Gewitter oder einem Frost erholt sich ein zerstörter Baum; die Wurzel und einige seiner Äste sind
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