Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
im winzigen nur zwei. Das Durchschnittsgewicht in der großen Filiale entspricht etwa dem Durchschnittsgewicht der Bevölkerung, sagen wir, 75 Kilo. Egal, wer neu eingestellt oder entlassen wird, es verändert sich kaum. Anders in der winzigen Filiale: Je nachdem, ob der Filialleiter einen dicken oder einen hageren Mitarbeiter einstellt, schwankt das Durchschnittsgewicht massiv.
Genauso im Beispiel mit den Diebstählen: Je kleiner die Filialen, desto mehr variieren ihre Diebstahlsraten. Egal, wie der Berater seine Excel-Liste ordnet: Listet man alle Diebstahlsraten der Reihe nach auf, finden sich am unteren Ende die kleinen Läden, in der Mitte die großen und am oberen Ende wieder die kleinen Läden. Die Schlussfolgerung des Finanzchefs hat also gar nichts zu bedeuten – und das Sicherheitssystem für die kleinen Filialen kann er sich sparen.
Angenommen, Sie lesen die folgende Schlagzeile in der Zeitung: »Start-ups beschäftigen intelligentere Mitarbeiter. Eine Studie im Auftrag des ›Bundesministeriums für unnötige Studien‹ hat den durchschnittlichen IQ aller deutschen Unternehmen ermittelt. Das Ergebnis: Start-ups belegen die Spitzenplätze.« Was halten Sie von dieser Nachrichtenmeldung? Hoffentlich nichts, denn hier haben wir es wieder mit dem Gesetz der kleinen Zahl zu tun. Start-ups beschäftigen tendenziell wenig Mitarbeiter. Der durchschnittliche IQ kleiner Unternehmen variiert deshalb viel stärker als jener großer Konzerne. Folglich wird man die kleinen Unternehmen (und damit die Start-ups) am obersten (und auch untersten) Ende der Liste finden. Die Studie des Bundesministeriums hat null Aussagekraft und bestätigt höchstens die Gesetze des Zufalls.
Fazit: Seien Sie vorsichtig, wenn Studien irgendetwas Besonderes über kleine Unternehmen, Haushalte, Städte, Rechenzentren, Ameisenhaufen, Kirchgemeinden, Schulen etc. herausgefunden haben. Was hier als überraschende Erkenntnis ausgegeben wird, ist in Wahrheit ein völlig normales Ergebnis der Zufallsverteilung. Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman vermeldet in seinem neuesten Buch, dass selbst erfahrene Wissenschaftler auf das Gesetz der kleinen Zahl hereinfallen – was uns doch sehr beruhigt.
GEHEN SIE MIT IHREN ERWARTUNGEN VORSICHTIG UM
Erwartungen
Am 31. Januar 2006 gab Google das Finanzergebnis des vierten Quartals 2005 bekannt. Umsatz: plus 97 %. Reingewinn: plus 82 %. Ein Rekordquartal. Wie reagierte die Börse auf die phänomenalen Finanzzahlen? Die Aktie brach innerhalb weniger Sekunden um 16 % ein. Der Handel musste unterbrochen werden. Als die Börse den Handel wieder aufnahm, fiel die Aktie um weitere 15 %. Die Panik war perfekt. In einem Blog-Eintrag eines verzweifelten Traders war zu lesen: »Welches ist der beste Wolkenkratzer, um sich vom Dach zu stürzen?« Was war geschehen? Die Wall-Street-Analysten hatten ein noch besseres Resultat erwartet – was die Firmenbewertung um 20 Milliarden Dollar zusammenstauchte.
Jeder Investor weiß, dass es unmöglich ist, Finanzerfolge genau vorherzusagen. Die vernünftige Reaktion wäre also, sich zu sagen: »Schlecht geschätzt, der Fehler liegt bei mir.« Aber so reagieren Investoren nicht. Im Januar 2006, als Juniper Networks einen Gewinn pro Aktie bekannt gab, der weniger als ein Zehntel Cent (!) von den Erwartungen der Analysten entfernt lag, fiel der Kurs um 21 % und die Firmenbewertung um 2,5 Milliarden Dollar. Der »Misserfolg« kann noch so mickrig sein – die drakonische Strafe folgt auf den Fuß, jedenfalls dann, wenn im Vorfeld Erwartungen geschürt wurden.
Viele Unternehmungen betreiben einen gigantischen Aufwand, um den Analystenerwartungen gerecht zu werden. Um diesem Terror zu entfliehen, gingen einige dazu über, ihre eigenen Gewinnerwartungen – sogenannte »Earnings Guidance« – zu publizieren. Kein kluger Schachzug, denn nun beäugt der Markt einfach diese internen Erwartungen – allerdings mit noch viel schärferen Augen. Die Finanzchefs sind zu Punktlandungen gezwungen und greifen dafür auf ein ganzes Arsenal buchhalterischer Tricks zurück.
Erwartungen führen nicht nur zu absurden, sondern auch zu lobenswerten Anreizen. 1965 führte der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal an verschiedenen Schulen ein bemerkenswertes Experiment durch: Den Lehrern wurde vorgetäuscht, dass man einen Test entwickelt habe, mit dem man jene Schüler identifizieren könne, die kurz vor einem intellektuellen Entwicklungsschub ständen – sogenannte »Aufblüher«.
Weitere Kostenlose Bücher