Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Tuns« – wer nicht? Zweitens, schmeichelhafte Aussagen, die nicht passen, akzeptieren wir trotzdem: »Sie sind stolz auf Ihr unabhängiges Denken« – klar, wer sieht sich selbst schon als stumpfsinnigen Mitläufer? Drittens spielt der sogenannte Feature Positive Effect mit hinein: Der Text macht keine Negativaussagen, sagt nicht, wie jemand nicht ist – obwohl die Absenz von Eigenschaften ebenso zu einem Persönlichkeitsbild gehören würde. Viertens, der Vater aller Denkfehler, der Confirmation Bias : Wir akzeptieren, was unserem Selbstbild entspricht, und filtern alles andere unbewusst aus. Zurück bleibt ein stimmiges Porträt.
Was Astrologen und Handleser schaffen, können Berater und Analysten schon längst. »Die Aktie XYZ hat ein erhebliches Steigerungspotenzial, auch in einem härter gewordenen Konkurrenzumfeld. Der Firma fehlt es bloß an Umsetzungskraft, um die Ideen aus der Entwicklungsabteilung voll zu realisieren. Das Management besteht aus branchenerfahrenen Profis, wobei Ansätze von Bürokratisierung festzustellen sind. Ein Blick auf die Erfolgsrechnung zeigt eindeutig, dass Sparpotenziale bestehen. Wir raten der Firma, die Schwellenländer noch stärker in den Fokus zu rücken, um den Marktanteil auch in Zukunft zu sichern.« – Klingt gut, oder? Und trifft garantiert auf jede Aktie zu.
Wie können Sie die Qualität eines Gurus beurteilen – zum Beispiel eines Astrologen? Lassen Sie ihn 20 Menschen Ihrer Wahl charakterisieren. Der Guru notiert die Beschreibungen auf Kärtchen. Um die Anonymität sicherzustellen, sind die Kärtchen mit 1 bis 20 nummeriert – stellvertretend für die Personennamen. Die Personen kennen ihre Nummer nicht. Jede Person erhält Kopien aller Kärtchen. Erst wenn (fast) jede Person jenes Kärtchen auswählt, das ihrer Nummer entspricht, haben Sie einen wahren Könner vor sich. Noch habe ich keinen getroffen.
WARUM FREIWILLIGENARBEIT ETWAS FÜR STARS IST
Volunteer’s Folly
Jacques, ein Fotograf, ist von Montag bis Freitag auf Trab. Im Auftrag von Modezeitschriften pendelt er zwischen Mailand, Paris und New York – pausenlos auf der Suche nach den schönsten Mädchen, den eigenwilligsten Kreationen, dem perfekten Licht. Man kennt ihn in der Szene, und die Kasse stimmt – er nimmt gut und gerne 500 Euro die Stunde. »So viel wie ein Wirtschaftsanwalt«, prahlt er bei seinen Kumpels, »und was ich vor die Linse kriege, sieht um einiges besser aus als ein Banker.«
Jacques führt ein beneidenswertes Leben, und doch ist er in letzter Zeit nachdenklicher geworden. Es scheint fast, als hätte sich etwas zwischen ihn und die Modewelt geschoben. Die Selbstsucht der Branche widert ihn plötzlich an. Manchmal liegt er im Bett, Blick hinauf zur Zimmerdecke, und sehnt sich nach sinnvoller Arbeit. Er möchte mal wieder selbstlos sein, etwas zur »Verbesserung der Welt« beitragen, und sei es noch so klein.
Eines Tages klingelt sein Handy. Es ist Patrick, sein ehemaliger Schulfreund und heutiger Präsident des lokalen Vogelschutzvereins: »Am kommenden Samstag haben wir unseren alljährlichen Vogelhäuschentag. Wir suchen Volontäre, die uns helfen, spezielle Häuschen zu zimmern für besonders bedrohte Arten. Die stellen wir dann im Wald auf. Zeit? Wir treffen uns um 8:00 Uhr morgens. Kurz nach Mittag sollten wir durch sein.«
Was soll Jacques antworten, wenn es ihm wirklich ernst ist mit der »Verbesserung der Welt«? Richtig, er sollte die Anfrage ablehnen. Begründung: Jacques verdient 500 Euro die Stunde. Ein Schreiner 50 Euro. Also wäre es vernünftig, eine zusätzliche Stunde als Fotograf zu arbeiten und einen Profischreiner anzuheuern, der sechs Stunden lang in einer für Jacques unerreichbaren Qualität Vogelhäuschen zimmert. Die Differenz von 200 Euro könnte er dem Vogelverein spenden (lassen wir die Steuern mal außen vor). Damit würde er weit mehr zur »Verbesserung der Welt« beitragen, als wenn er selbst Hand anlegte.
Trotzdem ist die Chance hoch, dass sich Jacques fürs Vogelhäuschenzimmern entscheidet. Ökonomen sprechen von der Volunteer’s Folly – der »Schnapsidee der Freiwilligenarbeit«. Sie ist weitverbreitet: Jeder Dritte in Deutschland engagiert sich ehrenamtlich (für die Schweiz fehlt eine Erhebung). Und das Argument geht noch weiter: Falls Jacques selbst Vogelhäuschen zimmert, statt einen Schreiner dafür zu bezahlen, nimmt er einem Schreiner Arbeit weg – sicher kein Beitrag zur »Verbesserung der Welt«.
Damit sind wir beim
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