Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
schockierende, personenbezogene, laute, schnell wechselnde Reize – und unverhältnismäßig schwach auf abstrakte, komplexe und deutungsbedürftige Informationen. News-Produzenten nutzen dies aus. Packende Geschichten, schreiende Bilder und aufsehenerregende »Fakten« fesseln unsere Aufmerksamkeit. So funktioniert nun einmal das Geschäftsmodell – die Werbung, die den News-Zirkus finanziert, wird nur verkauft, wenn sie gesehen wird. Die Folge: Alles Feinsinnige, Komplexe, Abstrakte und Hintergründige muss systematisch ausgeblendet werden, obwohl diese Inhalte für unser Leben und das Verständnis der Welt viel relevanter sind. Als Folge des News-Konsums spazieren wir mit einer falschen Risikokarte in unseren Köpfen umher. News-Konsumenten gewichten die meisten Themen völlig falsch. Die Risiken, von denen sie in der Presse lesen, sind nicht die wahren Risiken.
Zweitens: News sind irrelevant. Sie dürften in den letzten zwölf Monaten etwa 10.000 Kurznachrichten verschlungen haben – ca. 30 Meldungen pro Tag. Seien Sie ganz ehrlich: Nennen Sie eine davon, die es Ihnen erlaubt hat, eine bessere Entscheidung – für Ihr Leben, Ihre Karriere, Ihr Geschäft – zu treffen, als wenn Sie diese News nicht gehabt hätten. Niemand, dem ich diese Frage gestellt habe, konnte mehr als zwei Nachrichten angeben – aus 10.000. Eine miserable Relevanzquote. Nachrichtenorganisationen wollen Sie glauben machen, dass sie Ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Viele fallen darauf hinein. In Wirklichkeit ist der News-Konsum kein Wettbewerbsvorteil, sondern ein Wettbewerbsnachteil. Falls News-Konsum Menschen tatsächlich weiterbringen würde, stünden die Journalisten an der Spitze der Einkommenspyramide. Tun sie aber nicht, im Gegenteil.
Drittens: Zeitverschwendung. Ein durchschnittlicher Mensch verschwendet einen halben Arbeitstag pro Woche mit News. Global betrachtet ist der Verlust an Produktivität immens. Nehmen Sie die Terroranschläge in Mumbai im Jahr 2008. Terroristen töteten in einem Akt kühler Geltungssucht 200 Menschen. Stellen Sie sich vor, dass eine Milliarde Menschen durchschnittlich eine Stunde ihrer Aufmerksamkeit auf die Tragödie in Mumbai verwendeten: Sie haben die News verfolgt und sich das Geplapper irgendwelcher »Experten« und »Kommentatoren« im Fernsehen angeschaut. Eine durchaus realistische Schätzung, denn Indien allein hat mehr als eine Milliarde Einwohner. Doch rechnen wir konservativ. Eine Milliarde Menschen mal eine Stunde Ablenkung ergibt eine Milliarde Stunden Ablenkung. Umgerechnet: Durch News-Konsum wurden also an die 2.000 Menschenleben vernichtet – zehnmal mehr als durch das Attentat. Eine sarkastische, aber wahre Betrachtung.
Das Ausmerzen keines anderen der rund 100 Denk- und Handlungsfehler bringt Ihnen einen vergleichbaren Nutzen wie der Verzicht auf News. Haben Sie Angst davor, dass Sie durch Ihre newsfreie Existenz auf Partys ausgestoßen werden? Nun, Sie wissen vielleicht nicht, dass irgendein Flugzeug in Sibirien zerschellte, aber Sie verstehen die tieferen und oftmals unsichtbaren Zusammenhänge der Welt. Und diese können Sie mit anderen teilen. Haben Sie keine Hemmungen, über Ihre News-Diät zu reden. Man wird Ihnen fasziniert zuhören. Kurzum, geben Sie Ihren News-Konsum auf, und zwar ganz. Lesen Sie stattdessen lange Hintergrundartikel und Bücher. Ja, es gibt nichts Besseres als Bücher, um die Welt zu verstehen.
ANHANG
Literatur
Zu fast jedem Denk- und Handlungsfehler gibt es Hunderte von Studien. Ich habe mich hier auf die wichtigsten Zitate, technischen Referenzen, Leseempfehlungen und Kommentare beschränkt. Die Zitate habe ich in der Originalsprache belassen. Das ganze in diesem Buch vereinigte Wissen beruht auf den Forschungen der letzten drei Jahrzehnte im Bereich der kognitiven und sozialen Psychologie.
Begründungsrechtfertigung (Because-Justification)
Sedivy, Julie; Carlson, Greg: Sold on Language. How Advertisers Talk to You and What This Says About You , Wiley 2011: 88–89.
Goldman, Barry: The Science of Settlement: Ideas for Negotiators , ALI-ABA 2008: 50.
Goldstein, Noah; Martin, Steve; Cialdini, Robert: Yes! – 50 Scientifically Proven Ways to Be Persuasive , Free Press 2008: 151.
Entscheidungsermüdung (Decision Fatigue)
Baumeister, Roy: Willpowe r, Penguin Press 2010.
Zu den Entscheidungen der Richter: Danzigera, Shai et al.: »Extraneous factors in judicial decisions«, Proceedings of the National Academy of Science ,
Weitere Kostenlose Bücher