Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
den »Herausforderungen« malen. Die nicht erreichten Ziele aber werden Sie unter den Teppich kehren.
Ein besonders heikler Fall von Rosinenpicken sind Anekdoten. Angenommen, Sie sind Geschäftsleiter einer Unternehmung, die irgendein technisches Gerät herstellt. Eine repräsentative Befragung hat ergeben, dass die große Mehrzahl der Kunden Ihr Produkt nicht bedienen kann. Zu kompliziert. Nun streckt der Personalleiter den Finger auf und sagt: »Mein Schwiegervater hat das Produkt gestern in die Hand genommen und es auf Anhieb kapiert.« Wie viel Gewicht würden Sie dieser Rosine beimessen? Richtig, annähernd null. Eine Anekdote zu übergehen ist aber nicht einfach, denn sie ist eine Minigeschichte – und wir wissen, wie anfällig unser Hirn auf Geschichten reagiert. Gewiefte Geschäftsleiter haben sich im Verlauf ihrer Karriere eine Allergie gegenüber Anekdoten antrainiert und schießen derartige Wortmeldungen gleich ab.
Je »höher« oder »elitärer« ein Gebiet ist, desto eher tappen wir in die Rosinenpickerfalle . Nassim Taleb beschreibt in seinem Buch Antifragile , wie alle Forschungsgebiete – von der Philosophie über die Medizin, bis hin zur Ökonomie – mit ihren Ergebnissen prahlen: »Die universitäre Forschung ist gut darin, uns zu sagen, was sie für uns getan hat, nicht, was sie nicht für uns getan hat.« Reine Rosinenpickerei . Doch unser Respekt vor dem akademischen Betrieb ist viel zu groß, als dass uns das Rosinenpicken auffallen würde. Nehmen wir die Medizin. Den Leuten zu sagen, sie sollen nicht rauchen, ist der größte medizinische Beitrag der letzten 60 Jahre – größer als alle Forschung und alle medizinischen Fortschritte zusammengerechnet seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das belegt der Mediziner Druin Burch in seinem Buch Taking the Medicine . Die paar Rosinen (Antibiotika) täuschen. Nur: Medikamentenforscher werden gefeiert, Rauchgegner eher nicht.
Stabsstellen großer Firmen oder in der Verwaltung preisen sich an wie Hoteliers. Sie sind Meister im Zeigen, was sie alles geleistet haben. Aber sie sind schlecht darin, zu zeigen, welche Nutzen sie nicht geliefert haben. Was tun? Sitzen Sie im Aufsichtsrat einer solchen Organisation, fragen Sie unbedingt nach den »nicht gepickten Rosinen«, nach den gescheiterten Projekten und unerreichten Zielen. Daraus lernen Sie viel mehr als aus den Erfolgen. Es ist erstaunlich, wie selten solche Fragen gestellt werden. Zweitens: Statt eine Horde von Finanzcontrollern zu beschäftigen, die die Kosten auf den Cent genau nachprüft, prüfen Sie lieber Ziele nach. Dabei werden Sie erstaunt feststellen, dass sich die ursprünglichen Ziele im Lauf der Zeit in Luft aufgelöst haben. Dafür hat man sich in der Zwischenzeit still und heimlich eigene Ziele gesetzt – die man natürlich alle erreicht. Hören Sie von »selbst gesetzten Zielen«, sollten bei Ihnen deshalb die Alarmglocken läuten. Es ist, als würde jemand einen Pfeil auf eine Holzwand schießen und dann eine Zielscheibe um den Pfeil herummalen.
DIE STEINZEITLICHE JAGD AUF SÜNDENBÖCKE
Die Falle des einen Grundes
Chris Matthews ist einer der Starjournalisten des amerikanischen Fernsehsenders MSNBC. In seiner News-Show werden im Minutentakt »Politexperten« zugeschaltet und befragt. Ich habe nie verstanden, was ein Politexperte ist, noch warum eine solche Karriere erstrebenswert sein soll. Im Jahr 2003 stand der Irak-Einmarsch der USA im Zentrum des Interesses. Wichtiger als die Antworten der Experten waren Chris Matthews’ Fragen: »Was ist das Motiv für den Krieg?« »Ich wollte wissen, ob der 11. September der Grund ist?« »Glauben Sie, die Massenvergeltungswaffen waren der Grund für den Krieg?« »Warum, glauben Sie, sind wir in den Irak einmarschiert? Welches ist der wahre Grund , nicht der vorgeschobene?« Und so weiter. Ich kann solche Fragen nicht mehr hören. Sie sind symptomatisch für den häufigsten aller Denkfehler, einen Fehler, für den es seltsamerweise keinen geläufigen Namen gibt. Er figuriert unter dem umständlichen Begriff Falle des einen Grundes (englisch: Fallacy of the Single Cause ).
Fünf Jahre später – 2008 – herrschte Panik auf den Finanzmärkten. Banken krachten zusammen und mussten mit Steuergeldern aufgepäppelt werden. Anleger, Politiker und Journalisten fragten aufgebracht nach der Ursache der Finanzkrise: Greenspans lockere Geldpolitik? Die Dummheit der Investoren? Die zwielichtigen Ratingagenturen? Gekaufte
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