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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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vorschrieb, weil Frauen ein inneres Gleichgewicht haben, das den Männern fehlt. Im entscheidenden Moment sind es die Männer, die hysterisch werden und Selbstmord begehen, wenn sie meinen, daß alles verloren sei; eine Frau mag sich umbringen, weil sie keine Richtung und keinen Sinn erkennt, nicht aber weil ein System versagt, dem sie zufällig angehört.
    Nachdem Don Juan und der Trupp seiner Krieger alle Hoffnung aufgegeben hatten - oder, wie Don Juan es ausdrückte, nachdem er und seine männlichen Krieger in der tiefsten Etage gelandet waren, während die Frauen immer noch Wege fanden, um ihnen Mut zu machen -, stieß Don Juan endlich doch noch auf einen doppelten Mann, den er ansprechen konnte. Dieser doppelte Mann war ich. Er sagte, nachdem kein vernünftiger Mensch sich freiwillig auf eine so absurde Sache wie den Kampf um die Freiheit einlassen würde, habe er sich an die Lehren halten und mich nach Art der Pirscher hereinziehen müssen, wie er es mit allen Mitgliedern seines Trupps getan hatte. Dazu mußte er mich allein an einen Platz bringen, wo er einen körperlichen Druck auf meinen Körper ausüben konnte. Doch es war notwendig, daß ich von mir aus dorthin ging.
    Er lockte mich in sein Haus, was sehr leicht ging - denn wie er sagte, sei das Gewinnen des doppelten Mannes nie ein großes Problem. Die Schwierigkeit sei vielmehr, einen zu finden, der bereit ist.
    Jener erste Besuch in seinem Haus war, im Licht meiner alltäglichen Bewußtheit betrachtet, eine ereignislose Sitzung. Don Juan war sehr charmant und scherzte mit mir. Er lenkte das Gespräch auf die Müdigkeit, die der Körper nach langen Autofahrten empfindet. Für mich als Studenten der Anthropologie war es eine gänzlich unlogische Unterhaltung. Irgendwann bemerkte er beiläufig, daß mein Rücken nicht in Ordnung sei. Unbefangen legte er mir die Hand auf die Brust und richtete mich aus meiner vornüber gebeugten Haltung auf. Und dann gab er mir einen tüchtigen Schlag auf den Rücken. Er überraschte mich so sehr, daß mir schwarz vor den Augen wurde. Ich hatte das Gefühl, als sei mein Rückgrat gebrochen. Als ich wieder die Augen aufschlug, wußte ich, daß ich anders war. Ich war ein anderer und nicht mehr derselbe, als den ich mich kannte. Wann immer ich ihn von da an besuchte, ließ er mich von meiner rechtsseitigen Bewußtheit zu meiner linken überwechseln und enthüllte mir die Regel.
    Beinah gleich nachdem er mich gefunden hatte, traf Don Juan eine doppelte Frau. Er beschloß nun, mich nicht nach einem ähnlichen Plan mit ihr in Verbindung zu bringen, wie sein Wohltäter es bei ihm gemacht hatte, sondern einen listigen Trick vorzubereiten, nicht minder wirksam und schlau als jener seines Wohltäters, und ihn selbst auszuführen. Er nahm die Mühe auf sich, die doppelte Frau anzulocken und zu überzeugen. Denn er glaubte, daß es die Pflicht des Wohltäters sei, beide Doppelwesen zu gewinnen, unmittelbar nachdem sie gefunden waren, und sie dann als Partner in einem unerdenklichen Unternehmen zusammenzuführen.
    Eines Tages, so erzählte er uns, als er noch in Arizona lebte, sei er zu einer staatlichen Behörde gegangen, um einen Antrag zu stellen. Die Dame am Schreibtisch, der er das ausgefüllte Formular aushändigen sollte, sagte ihm, er solle es einer anderen Kollegin in der angrenzenden Abteilung bringen. Ohne hinzusehen, deutete sie nach links. Don Juan blickte in die Richtung ihres ausgestreckten Armes und sah eine doppelte Frau, die dort an einem Schreibtisch saß. Er brachte ihr seinen Antrag und stellte fest, daß sie noch ein junges Mädchen war. Sie sagte ihm, sie hätte mit diesen Anträgen nichts zu tun. Aber aus Mitleid mit einem armen alten Indianer nahm sie sich die Zeit, ihm in seiner Angelegenheit weiterzuhelfen.
    Es fehlten noch einige Dokumente - Dokumente, die Don Juan wohl bei sich trug. Er spielte den völlig Unwissenden und Hilflosen. Er gab zu verstehen, daß die Bürokratie ihm ein völliges Rätsel sei. Don Juan sagte, es sei ihm nicht schwergefallen, ein Bild totaler Verständnislosigkeit abzugeben, dazu habe er sich nur in seinen alten Bewußtheitszustand zurückversetzen müssen.
    Es lag ihm daran, die Interaktion mit dem jungen Mädchen so lange auszudehnen, wie er nur konnte. Sein Mentor hatte ihm gesagt - und er selbst hatte es bei seiner Suche bestätigt gefunden -, daß doppelte Frauen sehr selten sind. Sein Mentor hatte ihn auch gewarnt, daß sie innere Reserven haben, die sie sehr ungeduldig

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