Die Kunst des Pirschens
einholen, und sie sollten den Sack fallen lassen - mit einer gewissen Wucht, damit es überzeugend wirkte. Der Verfolger war natürlich Don Juan, der wunderbarerweise gerade vor dem Haus vorbeigegangen war, als die Frauen mit ihrem Bündel herauskamen.
Silvio Manuel wollte, daß alles wie im wirklichen Leben zuging. Er hieß die Frauen das Mädchen knebeln, das inzwischen wieder erwacht war und in dem Sack kreischte, und dann hieß er sie mit dem Sack meilenweit laufen. Er trug ihnen auf, sich vor ihrem Verfolger zu verstecken. Und schließlich, nach einer wahrhaft kräfteraubenden Schlepperei, hieß er sie den Sack so hinwerfen, daß das Mädchen einen ganz wüsten Kampf zwischen Don Juan und den vier Frauen beobachten konnte. Silvio Manuel sagte den Frauen, dies müsse mit allem Realismus geschehen. Er bewaffnete sie mit Knüppeln und trug ihnen auf, Don Juan überzeugend zu verdreschen, bevor sie sich vertreiben ließen.
Unter den Frauen war Zoila diejenige, die sich am leichtesten von ihrer Hysterie mitreißen ließ; sobald sie nun anfingen, Don Juan mit ihren Knüppeln zu verprügeln, steigerte sie sich in ihre Rolle und lieferte eine grauenhafte Vorstellung - eine Vorstellung, bei der sie so fest auf Don Juan einschlug, daß ihm das Fleisch am Rücken und an den Schultern aufplatzte. Einen Augenblick sah es ganz so aus, als würden die Entführer gewinnen. Silvio Manuel mußte aus seinem Versteck hervortreten, um die Frauen daran zu erinnern, daß das Ganze nur ein listiger Trick war und daß es Zeit sei, wegzulaufen.
So wurde Don Juan Olindas Retter und Beschützer. Er sagte ihr, er könne sie nicht selbst nach Hause bringen, weil er verletzt sei, aber dafür würde sein frommer Vater sie nach Hause begleiten.
Sie half ihm und stützte ihn bis zum Haus seines Wohltäters. Don Juan sagte, er habe es gar nicht nötig gehabt, eine Verletzung vorzutäuschen, denn er blutete stark und schaffte kaum den Weg bis zur Tür. Olinda erzählte dem Wohltäter, was passiert war. Der Wohltäter verspürte ein unwiderstehliches Bedürfnis zu lachen. Er mußte es tarnen, indem er so tat, als weinte er.
Don Juan ließ sich seine Wunden verbinden und ging zu Bett. Olinda fing an ihm zu erklären, warum ihr Vater gegen ihn eingenommen sei, aber sie kam nicht zu Ende. Don Juans Wohltäter kam ins Zimmer und erzählte ihr, er habe, als er ihre Art zu gehen beobachtete, bemerkt, daß die Entführer ihr den Rücken verrenkt hätten, und sie solle ihm erlauben, ihn wieder einzurenken, bevor die Sache kritisch würde.
Olinda zögerte. Don Juans Wohltäter sagte, die Entführer hätten keinen Spaß gemacht, sie hätten beinah seinen Sohn getötet. Diese Bemerkung genügte; sie stellte sich vor den Wohltäter und ließ sich von ihm einen kräftigen Schlag auf das Schulterblatt geben. Es machte ein knackendes Geräusch, und Olinda trat in einen Zustand gesteigerter Bewußtheit ein. Er offenbarte ihr die Regel, und genau wie Don Juan akzeptierte sie sie in vollem Umfang. Da gab es keinen Zweifel, kein Zögern.
Die Nagual-Frau und Don Juan fanden einer in der Gesellschaft des andern Ruhe und Vollkommenheit. Don Juan sagte, das Gefühl, das sie einander entgegenbrachten, habe nichts mit Liebe oder Verlangen zu tun gehabt. Vielmehr hätten sie gemeinsam die körperliche Empfindung gehabt, daß eine unheimliche Schranke zwischen ihnen niedergebrochen war, daß sie nun ein und dasselbe Wesen waren.
Don Juan und seine Nagual-Frau arbeiteten, wie die Regel es vorschreibt, jahrelang zusammen, um die Gruppe der vier Träumerinnen zu finden, Nelida, Zuleica, Cecilia und Hermelinda, und die drei Kuriere, Juan Tuma, Teresa und Marta. Sie zu finden, war für Don Juan abermals eine Gelegenheit, bei der sich der praktische Charakter der Regel erwies: sie alle waren genau so, wie die Regel sagte, daß sie sein würden. Ihr Kommen eröffnete für alle einen neuen Zyklus, auch für Don Juans Wohltäter und seinen Trupp. Für Don Juan und seine Krieger war es der Zyklus des Träumens, und für seinen Wohltäter und seinen Trupp bedeutete es eine Phase beispielloser Makellosigkeit in ihren Taten.
Der Wohltäter erklärte Don Juan, daß er, als er selbst ein junger Mann war und erstmals von der Idee der Regel als Weg zur Freiheit erfuhr, starr vor Freude gewesen sei; die Freiheit erschien ihm als eine Wirklichkeit, die gleich um die nächste Straßenecke zu finden war. Als er dann das Wesen der Regel als Landkarte zu begreifen lernte, verdoppelten
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