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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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die jeden Kontakt, den wir hatten, damit eröffnete, daß sie mir sagte, ich solle meine Aufmerksamkeit auf ihre Worte, und auf nichts anderes konzentrieren. Ihre Stimme war die Frauenstimme, die la Gorda beim Träumen zu hören gemeint hatte.
    Wenn das Träumen in geschlossenen Räumen stattfindet, so sagte Zuleica mir, dann ist es am besten, man tut es in völliger Dunkelheit, während man auf einem schmalen Bett liegt oder aufrecht sitzt oder, besser noch, während man in einem sargähnlichen Kasten sitzt. Das Träumen im Freien, so meinte sie, sollte man im Schutz einer Höhle tun, im Sande eines Wasserloches oder an einen Fels in den Bergen gelehnt; niemals auf dem flachen Boden eines Tales oder an Flüssen, Seen oder am Meer, weil Bodenflächen, wie auch das Wasser, Gegensätze zur zweiten Aufmerksamkeit bilden.
    Jede meiner Sitzungen war reich an geheimnisvollen Nebenbedeutungen. So erklärte sie mir, daß der sicherste Weg, um direkt zur zweiten Aufmerksamkeit zu finden, über rituelle Handlungen monotone Gesänge und komplizierte, repetitive Bewegungen führe.
    Bei ihrer Unterweisung ging es nicht um die Grundlagen des Träumens, die uns bereits von Don Juan beigebracht worden waren. Sie ging davon aus, daß jeder, der zu ihr kam, bereits zu träumen verstand, und daher behandelte sie ausschließlich die esoterischen Dinge der linksseitigen Bewußtheit.
    Der Unterricht bei Zuleica begann eines Tages, als Don Juan mich zu ihrem Haus mitnahm. Wir trafen am Spätnachmittag dort ein. Die Wohnung schien verlassen. Als wir aber näherkamen, stand die Haustür offen. Ich erwartete, daß Zoila oder Marta sich zeigen würden, aber niemand stand im Eingang. Ich hatte das Gefühl, daß derjenige, der uns die Tür geöffnet hatte, uns rasch aus dem Weg gehen wollte. Don Juan führte mich in den Patio und ließ mich auf einer Kiste niedersitzen, auf der ein Kissen lag und die somit als Bank diente. Die Sitzfläche auf der Kiste war uneben und hart und sehr unbequem. Ich schob meine Hand unter das dünne Polster und fand darunter scharfkantige Steine. Don Juan sagte, daß meine Situation eine Ausnahme sei, weil ich die Feinheiten des Träumens in aller Eile lernen müsse. Wenn ich also auf einer harten Oberfläche saß, so sei dies ein Hilfsmittel, das meinen Körper davon abhalten sollte zu meinen, er befinde sich in einer normalen Situation. Gerade kurz bevor wir das Haus erreichten, hatte Don Juan mich auf die andere Ebene der Bewußtheit überwechseln lassen. In diesem Zustand, so sagte er, müsse Zuleicas Unterweisung stattfinden, damit sie das Tempo erreiche, das bei mir nötig sei. Er ermahnte mich, allen Widerstand aufzugeben und Zuleica wie selbstverständlich zu vertrauen. Dann befahl er mir, meinen Blick mit aller Konzentration, die ich aufbringen konnte, zu schärfen und mir alle Einzelheiten des Patio, die in meinem Gesichtsfeld lagen, einzuprägen.
    Dabei müsse ich mir, so betonte er, die Einzelheiten ebenso wie das Gefühl einprägen, dort zu sitzen. Er wiederholte seine Anweisungen, um sicherzugehen, daß ich ihn verstanden hatte.
    Dann ging er fort.
    Rasch wurde es völlig dunkel, und ich begann auf meinem Sitz hin und her zu rutschen. Ich hatte nicht genügend Zeit gehabt, um mich auf die Einzelheiten des Patio zu konzentrieren, wie ich es gern getan hätte. Knapp hinter mir hörte ich ein raschelndes Geräusch, und dann schreckte mich Zuleicas Stimme auf. Eindringlich flüsternd befahl sie mir, aufzustehen und ihr zu folgen. Ich gehorchte automatisch. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, sie war nur ein dunkler Umriss, der zwei Schritt vor mir ging. Sie führte mich zu einer Nische am dunkelsten Saal des Hauses. Obgleich meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich nichts sehen. Ich stolperte über irgend etwas, und sie befahl mir, mich in eine schmale Kiste zu setzen und meinen Rücken gegen ein - wie es mir schien - hartes Polster zu stützen.
    Als nächstes spürte ich, daß sie sich ein paar Schritt hinter mir aufgestellt hatte, was mich sehr verblüffte, denn ich glaubte, mein Rücken sei nur einige Zentimeter von der Mauer entfernt. So sprach sie von hinten auf mich ein und befahl mir mit leiser Stimme, meine Aufmerksamkeit auf ihre Worte zu konzentrieren und alle ablenkenden äußeren Reize auszuschalten. Sie befahl mir, die Augen offen zu halten und meinen Blick auf eine Stelle in Augenhöhe direkt vor mir zu fixieren, der aus der Dunkelheit in einem leuchtenden, angenehmen

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