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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Dann hatte ich eine andere, unheimliche Empfindung. Ich schlief ein, und doch blieb ich bei Bewußtsein. In meinen Ohren war ein Summen, das mich an den Klang eines Bullenheulers erinnerte; dann spürte ich, wie eine Gewalt mich, ohne mich zu wecken, auf meine linke Seite rollte. Ich wurde fest eingerollt, etwa wie eine Zigarre, und in die juckende Vertiefung gestopft. Dort blieb meine Bewußtheit in der Schwebe, unfähig aufzuwachen, aber so fest um sich selbst aufgerollt, daß ich auch nicht einschlafen konnte.
    Ich hörte Zuleicas Stimme, die mir befahl mich umzusehen. Ich konnte nicht die Augen öffnen, aber mein Tastsinn sagte mir, daß ich in einem Wassergraben auf dem Rücken lag. Ich fühlte mich behaglich und sicher. Mein Körper hatte eine solche Festigkeit, daß ich nie wieder aufstehen wollte. Zuleicas Stimme befahl mir, aufzustehen und die Augen zu öffnen. Ich konnte nicht. Sie sagte, ich müsse meine Bewegung einfach wollen, das Aufstehen sei jetzt nicht länger eine Sache der Muskelkontraktion.
    Ich dachte, sie ärgere sich über meine Langsamkeit. Dann wurde mir klar, daß ich bei vollem Bewußtsein war, vielleicht bewußter, als ich es je in meinem ganzen Leben gewesen war. Ich konnte rational denken, und doch schien ich tief zu schlafen. Ich dachte daran, daß Zuleica mich möglicherweise in eine tiefe Hypnose versetzt hatte. Der Gedanke beunruhigte mich einen Moment, dann war es mir egal. Ich überließ mich ganz dem Gefühl, in der Schwebe zu sein, frei zu fliegen.
    Ich hörte nicht mehr, was sie sagte. Entweder hatte sie zu sprechen aufgehört, oder ich hatte den Klang ihrer Stimme verdrängt. Ich wollte diesen sicheren Hafen nie mehr verlassen. Noch nie hatte ich mich so friedlich und vollkommen gefühlt. Ich lag da, nicht bereit aufzustehen oder irgend etwas zu verhindern. Ich spürte den Rhythmus meines Atems. Plötzlich erwachte ich.
    Bei meiner nächsten Sitzung mit Zuleica sagte sie, daß es mir gelungen sei, ganz von selbst eine Delle in meine leuchtende Schale zu drücken; eine solche Vertiefung bringe einen entfernten Punkt in meiner leuchtenden Schale näher an meinen physischen Leib heran und daher der Beherrschung näher. Sie beteuerte immer wieder, daß es leichter sei, ins Träumen einzutreten, wenn der Körper erst einmal gelernt habe, eine solche Delle zu machen. Dies konnte ich bestätigen. Ich hatte einen seltsamen Impuls gelernt, eine Empfindung, die mein Körper sofort zu wiederholen gelernt hatte. Es war eine Mischung aus Gefühlen der Leichtigkeit, der Sicherheit, des Schlafens, des Schwebens, ohne irgendwelche taktilen Empfindungen und doch war ich gleichzeitig hell wach, aller Dinge um mich her bewußt.
    La Gorda sagte, der Nagual Juan Matus habe sich jahrelang bemüht, bei ihr, bei den drei Schwesterchen und bei den Genaros eine solche Delle zu schaffen und sie auf diese Weise für immer zu befähigen, ihre zweite Aufmerksamkeit zu sammeln. Diese Delle, so hatte er ihr erzählt, entsteht beim Träumer, wenn erforderlich, im Bruchteil eines Augenblicks, und dann schnellt die leuchtende Schale in ihre ursprüngliche Form zurück. Doch im Fall der Lehrlinge - und zwar weil sie keinen Nagual-Führer hatten wurde die Vertiefung von außen her geschaffen und war ein dauerndes Merkmal ihres leuchtenden Körpers, was eine große Hilfe, aber auch ein Hindernis war. Sie machte sie alle verletzlich und für Stimmungen anfällig.
    Jetzt erinnerte ich mich auch, daß ich einmal eine Vertiefung in den leuchtenden Schalen von Lydia und Rosa gesehen hatte. Ich glaubte, die Delle befinde sich außen in der Höhe ihres rechten Oberschenkels oder vielleicht genau an der Kante des Hüftknochens. La Gorda erklärte, daß ich ihnen einen Tritt in die Vertiefung ihrer zweiten Aufmerksamkeit versetzt und dabei fast getötet hätte.
    La Gorda erzählte, daß sie und Josefina mehrere Monate lang in Zuleicas Haus gelebt hatten.
    Der Nagual Juan Matus hatte sie eines Tages, nachdem er sie auf die andere Ebene der Bewußtheit hatte überwechseln lassen, dorthin gebracht. Er verriet ihnen nicht, was sie dort tun sollten, noch was sie zu erwarten hätten; er ließ sie einfach im Hausflur allein und ging fort. Sie blieben dort sitzen, bis es dunkel wurde. Dann kam Zuleica zu ihnen.
    Sie sahen sie niemals, sie hörten nur ihre Stimme, als ob sie von einem Punkt an der Wand zu ihnen spräche.
    Zuleica verlangte sehr viel von ihnen, und zwar von dem Augenblick an, als sie die Verantwortung für sie

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