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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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übernahm. Sie ließ sie auf der Stelle sich auskleiden und befahl ihnen, in dicke, flauschige Baumwollsäcke zu kriechen - poncho-ähnliche Gewänder, die auf dem Boden lagen. Diese bedeckten sie vom Hals bis zu den Zehenspitzen. Dann befahl sie ihnen, sich Rücken an Rücken auf eine Matte zu setzen, und zwar in der gleichen Nische, in der ich gewesen war. Sie stellte ihnen die Aufgabe, in die Dunkelheit zu starren, bis dort eine gewisse Färbung sichtbar wurde. Nach vielen Sitzungen begannen sie tatsächlich Farben in der Dunkelheit zu sehen; und nun ließ Zuleica sie nebeneinander sitzen und die gleiche Stelle anstarren.
    La Gorda sagte, daß Josefina sehr schnell lernte und eines Nachts mit einem dramatischen Effekt in den orangeroten Fleck einging, indem sie mit ihrem Körper aus dem Poncho schlüpfte.
    La Gorda kam es so vor, als habe entweder Josefina nach dem Farbfleck gegriffen oder dieser nach ihr. Das Ergebnis war, daß Josefina mit einem Mal aus dem Poncho verschwunden war.
    Von nun an trennte Zuleica sie, und la Gorda begann ihr langsames, einsames Lernen.
    Bei la Gordas Bericht erinnerte ich mich, daß Zuleica auch mich in ein flauschiges Gewand hatte schlüpfen lassen. Die Befehle, mit denen sie mich aufforderte hineinzukriechen, verrieten mir auch den Grund, warum es benutzt wurde. Sie wies mich nämlich an, ich solle seine Flauschigkeit auf meiner Haut, besonders auf der Haut an meinen Waden fühlen. Sie wiederholte immer und immer wieder, daß die Menschen ein vorzügliches Wahrnehmungszentrum an der Außenseite der Waden hätten und daß das Spektrum unserer Wahrnehmung in rational nicht mehr fassbarer Weise erweitert werden könnte, wenn es gelänge, diese Stelle zu entspannen oder zu besänftigen. Das Gewand war sehr weich und warm und löste in meinen Beinen ein ganz außerordentliches Gefühl des Wohlbehagens und der Entspannung aus. Die Nerven in meinen Waden wurden stark stimuliert.
    La Gorda berichtete von dem gleichen Gefühl körperlichen Wohlbehagens. Sie behauptete sogar, daß es die Kraft dieses Ponchos gewesen sei, die sie den orangeroten Farbfleck finden ließ. So beeindruckt war sie von diesem Gewand, daß sie sich nach dem Muster des Originals - ein eigenes nähte, das aber nicht die gleiche Wirkung hatte, wiewohl es ihr ebenfalls Trost und Wohlbehagen vermittelte. Sie erzählte, daß sie und Josefina schließlich all ihre freie Zeit in diesen Ponchos verbrachten, die sie sich genäht hatten.
    Auch Lydia und Rosa waren in dieses Gewand gesteckt worden, aber sie waren niemals besonders glücklich damit. Auch ich nicht.
    Warum Josefina und la Gorda das Gewand so liebten, erklärte diese als direkte Folge der Tatsache, daß sie ihre Traumfarbe hatten finden dürfen, während sie darin steckten. Der Grund für meine eigene Gleichgültigkeit, so sagte sie, sei die Tatsache, daß ich überhaupt nicht in die farbige Fläche eintrat, daß die Färbung vielmehr zu mir kam. Sie hatte recht. Denn außer Zuleicas Stimme hatte es noch etwas anderes gegeben, das über den Ausgang dieser Vorbereitungszeit entschied. Allem Anschein nach führte Zuleica mich durch die gleichen Phasen, durch die sie la Gorda und Josefina geleitet hatte. Ich hatte viele Sitzungen hindurch in die Dunkelheit gestarrt und war bereit gewesen, den Farbfleck zu schauen. Ja, ich hatte sogar dessen ganze Metamorphose von leerer Dunkelheit bis hin zu einem präzise abgegrenzten Flecken intensiver Helligkeit miterlebt, und dann war ich von dem äußerlichen Jucken abgelenkt worden, auf das ich meine Aufmerksamkeit konzentrierte, bis ich schließlich in einen Zustand ruhiger Wachsamkeit eintrat. Und erst dann tauchte ich in eine orangerote Färbung ein.
    Nachdem ich gelernt hatte, zwischen Schlafen und Wachen in der Schwebe zu bleiben, minderte Zuleica offenbar ihr Tempo. Ich mußte sogar erleben, daß sie es gar nicht eilig hatte, mich aus diesem Zustand herauszuholen. Sie ließ mich einfach darin, ohne sich einzumischen, und befragte mich nie danach, vielleicht weil ihre Stimme nur zum Befehlen, und nicht zum Fragenstellen geeignet war. Wir sprachen eigentlich nie miteinander, wenigstens nicht auf die Art, wie ich mit Don Juan zu sprechen pflegte.
    Einmal, während ich mich in diesem Zustand der ruhigen Wachsamkeit befand, wurde mir klar, daß es für mich keinen Sinn hatte, darin zu verweilen - denn seine Beschränktheit war offenkundig, mochte er noch so angenehm sein. Daraufhin spürte ich ein Beben in meinem Körper und

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