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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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zu träumen, muß man den leuchtenden Körper und den physischen Körper manipulieren. Zuerst muß der Sammelpunkt für die zweite Aufmerksamkeit zugänglich gemacht werden, indem ein anderer ihn von außen eindrückt, oder der Träumer ihn von innen ansaugt. Zweitens müssen - um die zweite Aufmerksamkeit zu lösen - die in der Körpermitte und in den Waden, besonders in der rechten Wade lokalisierten Zentren des physischen Leibes stimuliert und so eng wie möglich zusammengebracht werden, daß sie sich zu vereinigen scheinen. Sodann stellt sich das Gefühl ein, zu einem Bündel aufgerollt zu sein, und die zweite Aufmerksamkeit übernimmt automatisch die Führung.
    Diese Erklärung, die Zuleica mir in Form von Befehlen gab, war die triftigste Möglichkeit, den Vorgang zu beschreiben, denn keine der mit dem Träumen verbundenen sensorischen Empfindungen gehört normalerweise zum Repertoire unserer Sinne. Alle waren sie sehr verwunderlich für mich. Das Gefühl eines Juckreizes außerhalb von mir war immerhin lokalisiert, und daher war das Erschrecken meines Körpers, als ich es spürte, nur gering. Das Gefühl hingegen, an mir selbst aufgerollt zu werden, war bei weitem das beunruhigendste. Es war mit Empfindungen verbunden, die meinen Körper in einen Schockzustand versetzten. So war ich auch davon überzeugt, daß meine Zehen irgendwann meine Stirn berührten - eine Haltung, die ich normalerweise nicht einnehmen kann. Und doch wußte ich ohne jeden Zweifel, daß ich mich in einem Netz befand und kopfüber in Birnenform hing, wobei meine Zehen direkt vor meiner Stirn waren. In der physischen Wirklichkeit aber saß ich am Boden, und meine Schenkel waren gegen den Brustkorb angezogen.
    Zuleica sagte ferner, daß das Gefühl, wie eine Zigarre gerollt und in die Delle der zweiten Aufmerksamkeit verstaut zu werden, durch die Tatsache bedingt war, daß meine linke und meine rechte Bewußtheit in eins verschmolzen, wobei die Reihenfolge der Dominanz vertauscht wurde und die linke Seite Vorrang gewann. Zuleica forderte mich auf, nur ja recht aufzupassen und mir auch die Umkehrung nicht entgehen zu lassen - einen Vorgang, bei der die beiden Seiten der Aufmerksamkeit wieder
    ihre normalen Plätze einnehmen und die rechte Seite die Zügel führt.
    Es gelang mir nie, die damit verbundenen Gefühle zu registrieren, aber Zuleicas Anweisung beherrschte mich so stark, daß ich in meinem Bemühen, nur ja alles zu beobachten, in eine tödliche Unschlüssigkeit geriet. Sie mußte ihre Anweisung zurücknehmen und befahl mir, meine Nachforschungen aufzugeben, weil ich anderes zu tun hätte.
    Vor allem, so sagte Zuleica, sollte ich meine Fähigkeit, mich aus eigenem Willen zu bewegen, vervollkommnen. Sie begann ihre Unterweisung damit, daß sie mich immer wieder aufforderte, meine Augen zu öffnen, während ich in einem Zustand ruhiger Wachsamkeit war. Dies verlangte von mir eine große Anstrengung. Einmal öffneten meine Augen sich ganz plötzlich, und ich sah Zuleica über mir aufragen. Ich lag am Boden, aber ich konnte nicht feststellen, wo.
    Das Licht war sehr hell, als läge ich direkt unter einer starken elektrischen Lampe. Aber es fiel kein direktes Licht in meine Augen. Mühelos konnte ich Zuleica sehen.
    Sie befahl mir aufzustehen, indem ich meine Bewegung wollte. Sie sagte, ich müsse mich mit meiner Körpermitte abstoßen, denn ich hätte an dieser Stelle drei dicke Tentakeln, die ich als Krücken benutzen könne, um meinen ganzen Körper hochzustemmen.
    Ich gab mir alle erdenkliche Mühe, um aufzustehen. Es gelang mir nicht. Ich hatte ein Gefühl von Verzweiflung und körperlicher Angst, das mich an Alpträume erinnerte, die ich als Kind gehabt hatte, und in denen ich nicht aufwachen konnte und dennoch voll wach war und verzweifelt zu schreien versuchte.
    Endlich sprach Zuleica zu mir. Sie sagte, ich müsse eine bestimmte Reihenfolge einhalten und es sei überflüssig, ja regelrecht dumm von mir, wenn ich mich ärgerte und aufregte, als hätte ich es mit der alltäglichen Welt zu tun. Ärger sei nur in der ersten Aufmerksamkeit angebracht; die zweite sei die Ruhe selbst. Sie verlangte, ich solle noch einmal die Empfindung wiederholen, die ich hatte, als ich mit meiner Körpermitte den Boden zu kehren meinte. Ich glaubte, daß ich, um es zu wiederholen, aufrecht sitzen müsse. Ohne viel Überlegung setzte ich mich auf und nahm die gleiche Haltung ein, in der ich gesessen hatte, als mein Körper zum erstenmal diese Empfindung

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