Die Kunst des Pirschens
hervorbrachte. Irgend etwas in mir schaukelte, und plötzlich stand ich aufrecht. Ich konnte nicht feststellen, was ich getan hatte, um diese Bewegung auszuführen. Ich glaubte, daß ich, wenn ich noch einmal von vorn anfing, die Reihenfolge erfassen könnte. Kaum hatte ich diesen Gedanken gedacht, fand ich mich wieder am Boden liegen. Beim erneuten Aufstehen erkannte ich, daß hierzu gar keine Vorkehrungen nötig waren und daß ich, wenn ich mich bewegen wollte, lediglich meine Bewegung ganz tief in meinem Innern beabsichtigen mußte. Mit anderen Worten, ich mußte total davon überzeugt sein, daß ich mich bewegen wollte, oder vielleicht genauer gesagt, ich mußte überzeugt davon sein, daß ich mich bewegen mußte.
Nachdem ich dieses Prinzip begriffen hatte, ließ Zuleica mich jede nur denkbare Art der willentlichen Bewegung üben. Je mehr ich übte, desto deutlicher erkannte ich, daß das Träumen ein ganz rationaler Zustand war. Zuleica erklärte es mir. Beim Träumen, so sagte sie, wird die rechte Seite, die rationale Bewußtheit, in die linksseitige Bewußtheit eingewickelt, was dem Träumer ein Gefühl der Nüchternheit und Rationalität vermittelt; die Rationalität aber darf nur von geringem Einfluß sein, und sie darf nur als hemmender Mechanismus benutzt werden, um den Träumer vor Exzessen und manischen Unternehmungen zu schützen.
Der nächste Schritt war, daß ich lernte, meinen Traumkörper zu steuern. Zuleica hatte mir schon bei unserer ersten Begegnung die Aufgabe gestellt, den Patio anzustarren, während ich auf der Kiste saß. Also beschäftigte ich mich inbrünstig - manchmal stundenlang - damit, ihn anzustarren. Ich war immer allein in Zuleicas Haus. Es schien, als ob an den Tagen, wenn ich dort war, alle anderen ausgegangen waren oder sich versteckten. Die Stille und die Einsamkeit hatten eine günstige Wirkung auf mich, und ich konnte mir die Einzelheiten dieses Patio einprägen.
Sodann stellte Zuleica mir die Aufgabe, im Zustand ruhiger Wachsamkeit die Augen zu öffnen, um den Patio zu sehen. Ich benötigte viele Sitzungen, bis ich dies schaffte. Am Anfang war es meist so, daß ich meine Augen aufschlug und Zuleica sah, woraufhin sie mich mit einer ruckhaften Körperbewegung wie einen Ball in den Zustand ruhiger Wachsamkeit zurückprallen ließ. Einmal, als ich wieder auf diese Weise zurückprallte, spürte ich ein heftiges Zittern: irgend etwas, das in meinen Füßen saß, rappelte bis in meinen Brustkorb hinauf, und ich hustete es heraus; die Kulisse dieses nächtlichen Patio kam aus mir heraus, als ob meine Bronchien sie ausgeschieden hätte.
Irgendwie glich das Ganze dem Brüllen eines wilden Tieres.
Dann hörte ich Zuleicas Stimme, die als schwaches Murmeln an mein Ohr drang. Ich verstand nicht, was sie sagte. Ich konnte nur ungefähr feststellen, daß ich auf der Kiste saß. Ich wollte aufstehen, aber ich spürte, daß mein Körper nicht fest war. Es war, als ob ein Wind mich davonwehte. Dann hörte ich ganz deutlich Zuleicas Stimme, die mir befahl, mich nicht zu bewegen. Ich versuchte reglos zu verharren, aber irgendeine Macht zog mich fort, und ich erwachte im Erker des Hauses. Vor mir stand Silvio Manuel.
Nach jeder solchen Traum-Sitzung in Zuleicas Haus erwartete Don Juan mich im stockfinsteren Flur. Dann pflegte er mich hinauszugeleiten und mich die Ebene der Bewußtheit wechseln zu lassen. Diesmal war Silvio Manuel bei ihm. Ohne ein Wort mit mir zu sprechen, steckte er mich in einen Sitzgurt und zog mich zum Firstbalken hinauf. Dort ließ er mich bis zum folgenden Mittag hängen, und dann kam Don Juan und ließ mich hinab. Er erklärte mir, daß es den Körper einstimme, wenn man eine Weile in der Luft schwebe, ohne den Boden zu berühren, und daß dies sehr wichtig sei, bevor man sich auf eine gefährliche Unternehmung einlasse, wie ich sie vorhätte.
Ich benötigte noch viele Traum-Sitzungen, bis ich endlich lernte, meine Augen zu öffnen und entweder Zuleica oder den finsteren Patio zu sehen. Jetzt erkannte ich auch, daß sie selbst die ganze Zeit geträumt hatte. Sie war nie in ihrer Person hinter mir im Erker am Flur gewesen. Ich hatte ganz recht gehabt in jener ersten Nacht, als ich mit dem Rücken knapp vor der Wand zu sitzen glaubte. Zuleica war lediglich eine Stimme aus dem Träumen.
Bei einer der Traum-Sitzungen, als ich vorsätzlich meine Augen öffnete, um Zuleica zu sehen, stellte ich erschrocken fest, daß auch la Gorda und Josefina sich neben Zuleica über
Weitere Kostenlose Bücher