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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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erlebt.
    »Das ist ein schöner Name«, konnte ich gerade noch sagen, aber ich meinte mehr als dies.
    Die weiche, gedehnte Aussprache der Vokale im Spanischen ließ den Namen flüssig und wohltönend klingen; besonders das »i« nach dem »r«. Es war kein seltener Name, nur hatte ich bis zu diesem Tag noch keine Frau getroffen, die so sehr das Wesen dieses Namens ausgedrückt hätte. Die Frau, die vor mir stand, paßte so gut zu dem Namen, als wäre er eigens für sie erfunden worden -oder vielleicht hatte sie auch ihren Charakter nach ihm geformt.
    Äußerlich sah sie Nelida ganz ähnlich, nur daß sie mehr Selbstvertrauen und Stärke zu haben schien. Sie war ziemlich groß und schlank. Sie hatte den olivebraunen Teint der Mittelmeervölker. Spanisch, oder vielleicht französisch. Sie war alt, und doch war sie nicht schwach, ja kaum gealtert. Ihr Körper wirkte geschmeidig und mager. Lange Beine, eckige Gesichtszüge, ein kleiner Mund, eine wunderbar gemeißelte Nase, schwarze Augen und in Zöpfen geflochtenes weißes Haar. Keine hängenden Wangen, keine schlaffe Haut im Gesicht und am Hals. Sie war alt auf eine Weise, als ob sie auf alt zurechtgemacht wäre.
    Wenn ich mich rückblickend an meine erste Begegnung mit ihr erinnere, dann fällt mir etwas ein, das an sich mit der Sache nichts zu tun hat, aber doch gut dazu paßt. Ich hatte nämlich einmal in einer Zeitschrift ein zwanzig Jahre altes Foto von einer damals jungen Hollywoodschauspielerin abgebildet gesehen, die so zurechtgemacht war, daß sie zwanzig Jahre älter wirkte, um die Rolle einer alternden Frau spielen zu können. Daneben war ein neueres Foto der gleichen Schauspielerin abgedruckt, wie sie nach zwanzig wirklichen, schweren Lebensjahren aussah. Florinda glich - für mein subjektives Urteil - dem ersten Bild der Filmschauspielerin, einem jungen Mädchen, auf alt geschminkt.
    »Was haben wir denn da?« sagte sie und kniff mich. »Siehst ja nicht besonders aus. Weich. Sicherlich verwöhnt bis ins Mark.«
    Ihre Offenheit erinnerte mich an Don Juan, auch das innere Leben ihrer Augen. Wenn ich auf mein Leben mit Don Juan zurückblickte, fiel mir auf, daß seine Augen immer gelassen blickten.
    Nie zeigten sie Erregung. Nicht daß Don Juan schön anzusehen gewesen wäre. Ich habe prächtige Augen gesehen, aber nie fand ich, daß sie etwas aussagten. Florindas Augen und auch Don Juans Augen machten mir den Eindruck, als hätten sie alles gesehen, was es zu sehen gibt; sie waren ruhig, aber nicht sanft. Die Erregung hatte sich nach innen zurückgezogen und hatte sich in etwas verwandelt, das ich nur als inneres Leben beschreiben kann.
    Florinda führte mich durch das Wohnzimmer auf einen überdachten Patio hinaus. Wir setzten uns auf bequeme Polstersessel. Ihre Augen schienen etwas in meinem Gesicht zu suchen.
    »Weißt du, wer ich bin und was ich für dich tun soll?« fragte sie.
    Ich sagte, ich wisse über sie und ihre Beziehung zu mir nur so viel, wie Don Juan mir angedeutet hatte. Bei meinem Versuch, meine Stellung zu erklären, nannte ich sie einmal Dona Florinda.
    »Sag nicht Dona Florinda zu mir«, sagte sie mit einer kindlichen Geste der Verlegenheit. »Ich bin noch nicht so alt, und auch nicht so respektabel.«
    Ich fragte sie, wie ich sie denn ansprechen solle.
    »Einfach Florinda. Das genügt«, sagte sie. »Was mich betrifft, so kann ich dir gleich sagen, daß ich eine Kriegerin bin, die die Geheimnisse des Pirschens kennt. Und im Hinblick auf das, was ich für dich sein soll, kann ich dir sagen, daß ich dich die ersten sieben Prinzipien des Pirschens, die ersten Prinzipien der Regel für Pirscher und die ersten drei Manöver des Pirschens lehren werde. «
    Und sie fügte noch hinzu, daß es für jeden Krieger ganz normal sei, zu vergessen, was sich ereignet, wenn die Interaktion auf der linken Seite stattfindet, und daß ich Jahre brauchen würde, bis ich begreifen könne, was sie mich lehren werde. Die Unterweisung durch sie, so meinte sie, sei lediglich der Anfang, und eines Tages würde sie mich den Rest lehren, dann aber unter anderen Vorzeichen.
    Ich fragte sie, ob sie etwas dagegen hätte, daß ich ihr Fragen stellte.
    »Tu was du magst«, sagte sie. »Alles, was ich von dir verlange, ist deine Verpflichtung, zu üben. Immerhin weißt du ja ungefähr, worüber wir sprechen werden. Deine Schwächen sind, daß du kein Selbstvertrauen hast und daß du nicht bereit bist, dein Wissen als Kraft zu gebrauchen. Der Nagual als Mann hat dich

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