Die Kunst des Pirschens
sei, das Geheimnis zu lüften.
»Der Nagual sagte, daß die Absicht überall anwesend ist«, sagte la Gorda unvermittelt.
»Was soll das heißen?« fragte ich.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich spreche nur Dinge aus, die mir in den Sinn kommen. Der Nagual sagte auch, daß es die Absicht ist, die die Welt schafft.«
Ich wußte, daß ich diese Worte schon einmal gehört hatte. Ich dachte, daß Don Juan auch mir diese Dinge gesagt und ich sie nur vergessen hatte.
»Wann hat Don Juan dir das gesagt?« fragte ich.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann es war«, sagte sie. »Aber er sagte mir, daß die Menschen und auch alle anderen lebenden Wesen Sklaven der Absicht sind. Sie sind fest in ihrer Hand. Sie heißt uns tun, was immer sie will. Sie läßt uns in der Welt handeln. Sie läßt uns sogar sterben.
Wenn wir aber Krieger werden«, so sagte er, »dann wird die Absicht unser Freund. Sie läßt uns für einen Augenblick frei werden. Manchmal kommt sie sogar zu uns, als hätte sie nur auf uns gewartet. Der Nagual sagte mir, daß er selbst nur ein Freund der Absicht sei, anders als Silvio Manuel, der ihr Meister war. «
In mir prasselte ein Trommelfeuer verdeckter Erinnerungen, die herausdrängten. Sie schienen jeden Moment an die Oberfläche kommen zu wollen. Dann erlebte ich für einen Augenblick eine ungeheure Frustration, und irgend etwas in mir gab auf. Ich wurde ruhig. Ich war nicht mehr daran interessiert, etwas über Silvio Manuel herauszufinden.
La Gorda deutete meinen Stimmungswandel als Zeichen dafür, daß wir noch nicht bereit waren, unseren Erinnerungen, an Silvio Manuel standzuhalten.
»Der Nagual hat uns allen gezeigt, was er mit seiner Absicht zu tun vermochte«, sagte sie unvermittelt. »Er konnte Dinge erscheinen lassen, indem er die Absicht anrief.
Wenn ich fliegen wolle, so sagte er mir, brauchte ich nur die Absicht des Fliegens anzurufen.
Dann zeige er mir, wie er selbst sie anrufen konnte; er sprang in die Luft und schwebte wie ein riesiger Drachen durch die Luft. Oder er ließ Dinge in seiner Hand erscheinen. Er sagte, daß er die Absicht vieler Dinge kenne und sie alle herbeirufen könne, indem er sie beabsichtigte. Der Unterschied zwischen ihm und Silvio Manuel war, daß Silvio Manuel als Meister der Absicht - die Absicht aller Dinge kannte. «
Ich sagte ihr, daß ihre Erklärung noch weiterer Erklärung bedürfe. Anscheinend hatte sie Mühe, in Gedanken ihre Worte zu ordnen.
»Ich lernte die Absicht des Fliegens«, sagte sie, »indem ich alle die Gefühle wiederholte, die ich beim Fliegen im Träumen hatte. Das war nur ein Ding. Der Nagual hatte in seinem Leben die Absicht von hundert Dingen gelernt, aber Silvio Manuel ging bis an die Quelle aller Dinge. Er zapfte sie an. Er brauchte gar nicht die Absicht irgendeines Dinges zu lernen. Er war eins mit der Absicht. Sein Problem war, daß er keine Wünsche mehr hatte, weil die selbst keine Wünsche hat, und darum brauchte er den Nagual, um sich seines Willens zu bedienen. Mit anderen Worten, Silvio Manuel konnte alles tun, was der Nagual wollte. Der Nagual steuerte Silvio Manuels Absicht. Aber da auch der Nagual keine Wünsche hatte, taten sie die meiste Zeit gar nichts. «
8. Die Bewußtheit der linken und der rechten Seite
Unsere Diskussion über das Träumen war für uns beide sehr nützlich, nicht nur weil sie uns half, unseren Stillstand beim Zusammen-Träumen zu überwinden, sondern auch weil sie die daran beteiligten Konzepte auf eine intellektuelle Ebene hob. Das Gespräch darüber hielt uns in Bewegung und gewährte uns eine momentane Pause, um unsere Erregung zu beschwichtigen.
Eines Abends, als ich ausgegangen war, um eine Besorgung zu machen, rief ich la Gorda von einer Telefonzelle aus an. Sie erzählte mir, sie sei in einem Kaufhaus gewesen und habe das Gefühl gehabt, daß ich mich dort hinter irgendwelchen Kleiderpuppen und Dekorationen verstecke. Sie sei sich ganz sicher gewesen, daß ich sie damit necken wolle, und sie habe sich über mich geärgert. Sie sei durch den Laden gerannt und habe versucht, mich zu ertappen, um mir zu zeigen, wie wütend sie war. Dann habe sie erkannt, daß sie sich in Wirklichkeit an etwas erinnerte, was sie häufig in meiner Gegenwart getan hatte, wenn sie ihre Launen hatte.
Wir kamen dann einmütig zu dem Schluß, daß es Zeit wäre, wieder unser Zusammen-Träumen zu versuchen. Noch während wir miteinander sprachen, fühlten wir unseren Optimismus wachsen. Ich ging sofort nach
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