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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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seine übermäßigen Vorteile ausglich, indem er sie ganz in den Dienst der gemeinsamen Sache stellte. So wurde er zur stillen Kraft hinter Don Juan.
    Meine letzte einführende Begegnung mit Don Juans Kriegern galt dem Norden. Don Juan nahm mich in die Stadt Guadalajara mit, wo diese Zusammenkunft stattfinden sollte. Er sagte, daß wir unsere Verabredung um zwölf Uhr mittags einhalten müßten, weil der Norden der Mittag sei.
    Wir verließen gegen elf Uhr das Hotel und schlenderten sorglos durch die Innenstadt. Er sagte, wir hätten nur eine kurze Strecke vom Zentrum der Stadt zu gehen.
    Ich war in meine Gedanken an die bevorstehende Zusammenkunft vertieft, und so stieß ich frontal mit einer Dame zusammen, die aus einem Laden gestürmt kam. Sie trug verschiedene Päckchen, die nach unserem heftigen Zusammenstoß über den Boden verstreut lagen. Ich
    entschuldigte mich und begann ihr zu helfen, sie aufzusammeln. Don Juan drängte, ich solle mich beeilen, weil wir uns sonst verspäten würden. Die Dame wirkte wie betäubt. Ich hielt sie am Arm. Sie war eine sehr schlanke große Frau, vielleicht an die sechzig, und sehr elegant gekleidet. Sie schien eine Dame von gesellschaftlichem Rang zu sein. Sie hatte ausgesucht gute Manieren und nahm selbst die Schuld an dem Zusammenstoß auf sich. Sie sei so zerstreut gewesen, sagte sie, weil sie ihren Diener nicht finden konnte. Sie fragte mich, ob ich ihr nicht helfen könnte, ihn in der Menge ausfindig zu machen. Ich drehte mich nach Don Juan um; er meinte, nachdem ich sie beinah umgebracht hätte, sei es das mindeste, daß ich ihr ein wenig behilflich wäre. Ich nahm ihre Päckchen auf, und wir gingen in den Laden zurück. Nicht weit entfernt entdeckte ich einen verloren wirkenden Indianer, der dort gänzlich fehl am Platz zu sein schien. Die Dame rief ihn an, und er kam wie ein verlaufenes Hündchen zu ihr gesprungen.
    Ich meinte, er würde ihr gleich die Hand lecken.
    Don Juan wartete draußen vor dem Laden auf uns. Er erklärte der Dame, wir seien in Eile, und nannte ihr dann meinen Namen, als wolle er mich ihr vorstellen. Die Dame lächelte höflich und reichte mir die Hand. Ich dachte bei mir, sie mußte in ihrer Jugend eine hinreißende Frau gewesen sein, denn sie war immer noch sehr schön und anziehend. Don Juan wandte sich zu mir um und sagte unvermittelt, sie heiße Nelida, sie sei der Norden und eine Träumerin. Dann schob er mich vor den Diener und sagte, er heiße Genaro Flores, und er sei der Mann der Aktion, der Krieger der Tat in dem Trupp. Ich war sprachlos. Meine Überraschung war total.
    Alle drei lachten aus vollem Halse. Je größer meine Verlegenheit wurde, desto besser schienen sie sich zu amüsieren.
    Don Genaro verschenkte die Päckchen an eine Gruppe Kinder. Er erzählte ihnen, daß seine Dienstherrin, die freundliche Dame, die sich gerade unterhielt, die Sachen als Geschenke für sie eingekauft habe; es sei ihre gute Tat für den Tag. Dann schlenderten wir schweigend einen halben Block weiter. Meine Zunge war wie gelähmt. Plötzlich deutete Nelida auf ein Geschäft und bat uns, einen Moment zu warten, weil sie rasch ein Päckchen Nylonstrümpfe holen wollte, die dort für sie bereitlägen. Sie sah mich lächelnd, mit leuchtenden Augen an und sagte mir, daß sie Scherz beiseite, Zauberei oder nicht - auf Nylons und Spitzenhöschen nicht verzichten könne. Don Juan und Don Genaro lachten wie zwei Idioten. Ich starrte Nelida an, denn ich wußte mir nichts anderes. Sie hatte etwas durchaus Irdisches an sich, und doch wirkte sie fast ätherisch.
    In scherzhaftem Ton sagte sie zu Don Juan, er solle mich festhalten, weil ich jeden Moment in Ohnmacht fallen könne. Dann bat sie Don Genaro höflich, in den Laden zu laufen und die bestellte Ware bei einer bestimmten Verkäuferin abzuholen. Don Genaro schickte sich schon an hineinzugehen, aber im nächsten Augenblick hatte Nelida sich anders besonnen und rief ihn zurück. Er schien sie nicht zu hören und verschwand in dem Geschäft. Sie entschuldigte sich und rannte hinter ihm her.
    Don Juan legte mir die Hand auf den Rücken, um mich aus meinem inneren Aufruhr zu befreien. Er sagte, daß ich der anderen nördlichen Frau - sie hieß Florinda - ein andermal allein begegnen würde, denn sie sei meine Verbindung zu einem anderen Kreis, einer anderen
    Stimmung. Er schilderte mir Florinda als die genaue Kopie von Nelida, oder umgekehrt.
    Ich bemerkte, ich fände Nelida so kapriziös und elegant, daß ich mir

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