Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Senechal schüttelte mit einer präzisen Bewegung einmal den Kopf. »Er möchte, dass Sie ihn selbst unter die Lupe nehmen. Und herausfinden, was man herausfinden kann.«
»Und dann?«
»Und sollten Sie auf irgendwelche Lügen stoßen, sie richtigstellen.«
»Falls es welche gibt.«
»Die gibt es.« Senechal presste seine schmalen Lippen zu einem Strich zusammen.
Webster dachte einen Augenblick nach. »So einen Auftrag bekommen wir selten.« Er hielt inne, musterte seinen Gast. »Wie schlimm ist es?«
»Wie bitte?«
»Der Schaden. Für Ihren Klienten.«
»Es ist ärgerlich.«
»Denn das wird teuer.«
»Ich weiß«, sagte Senechal erneut mit einem ausdruckslosen Lächeln.
»Wer ist Ihr Klient?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
Senechal griff nach unten und beförderte seine Aktenmappe auf den Tisch. Dann zog er aus der kleinen Billetttasche seines schwarzen Sakkos einen Schlüssel hervor, schloss die Schnalle auf und nahm einen durchsichtigen Kunststoffordner mit zwei, drei Blättern heraus. Während er die Aktenmappe zur Seite schob, legte er die Unterlagen akkurat vor sich hin.
»Das hier«, sagte er, »ist eine Einverständniserklärung, die ich gerne von Ihnen unterschrieben haben möchte. Damit verpflichten Sie sich, uns ein allgemeines Angebot zu unterbreiten. Sie legen uns dar, wie Sie vorgehen werden und wie viel es kostet. Wenn uns das Angebot überzeugt, werde ich Ihnen sagen, wer mein Klient ist, und wir können die Einzelheiten besprechen. Und in der Zwischenzeit werden Sie niemandem von unserer Unterhaltung erzählen.«
Webster lächelte. »Ich fürchte, so arbeiten wir nicht.«
Senechal rutschte auf seinem Stuhl nach vorne und stützte sich mit den Ellbogen behutsam auf dem Tisch ab.
»Es handelt sich um eine sensible Angelegenheit. Äußerst sensibel. Mein Klient will kein Risiko eingehen, falls uns Ihre Arbeitsweise nicht gefällt.«
»Alles, was Sie in diesem Raum sagen, ist vertraulich. So wie die Tatsache, dass Sie überhaupt hier sind. Aber ich werde nichts unterschreiben, bevor ich weiß, für wen Sie arbeiten.«
Einen Moment lang blickte Senechal verwirrt drein, als wäre er auf einen Widerspruch gestoßen. »Es handelt sich um einen lukrativen Auftrag. Für einen bedeutenden Klienten.«
»Ich gehe gegenüber einem Mann, den ich nicht kenne, keine Verpflichtungen ein.«
Senechal holte zischend Luft, rieb sich das Kinn und wollte etwas sagen, ließ es dann aber doch bleiben. Und während er Webster mit einem Blick zu verstehen gab, wie dumm seine Entscheidung war, stand er auf. »Na schön. Dann wenden wir uns eben an jemand anders. Danke für Ihre Mühe.«
Webster nickte, und in diesem Moment wurde ihm klar, was ihn gestört hatte: Senechals Augen passten nicht zu seinem Gesicht. Irgendwo tief in ihrem Innern, hinter der grauen Iris, loderte, nur allzu lebhaft, eine Leidenschaft, die sein bleicher Körper kaum zurückhalten konnte.
Webster begleitete seinen merkwürdigen Besucher zu den Aufzügen, bedankte sich bei ihm und heftete ihn in Gedanken unter den abgelehnten Klienten von Ikertu ab, eine bunte Mischung aus misstrauischen Ehemännern, geizigen Bankern und unheimlichen Spinnern, deren Fälle zu heikel oder zu absurd waren, um sie anzunehmen. Der Klient, der zu bedeutend war, um seine Identität preiszugeben, war eine seltene Unterkategorie, die normalerweise sein Interesse geweckt hätte, doch ein starkes Bauchgefühl sagte ihm, dass es richtig gewesen war, sich nicht darauf einzulassen – dass man mit den widersprüchlichen Kräften, die diesen sonderbaren, abstoßenden Mann antrieben, besser nicht näher Bekanntschaft machte.
Doch Senechal war eine so geisterhafte Erscheinung, dass er ihn zwangsläufig erneut heimsuchen musste, und so wunderte es Webster auch nicht, als er wieder Kontakt mit ihnen aufnahm. Zwei Tage später ging im Büro von Ikertu ein Umschlag aus edelstem cremefarbenen Papier ein, mit Tinte in geschwungener Schrift an Webster adressiert. Er war per Bote gekommen. Die Buchstaben waren fett, fast kunstvoll, und auf der Lasche war ein großes Q eingeprägt. Im Umschlag steckten eine Einladung zu Mehrs Gedenkgottesdienst und auf einem kleinen Blatt Papier, dessen Kopf ebenfalls ein Q zierte, eine Nachricht in derselben Handschrift:
Sehr geehrter Mr. Webster,
es wäre mir eine Ehre, wenn Sie gemeinsam mit mir diesem wichtigen Gottesdienst beiwohnen würden. Im Anschluss haben wir dann Zeit für ein
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