Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
nähergekommen, waren aus dem Händler und dem Kunden Freunde geworden, und als Qazai dann seine Stiftung gründete, fiel die Wahl bei der Besetzung des Direktorenpostens fast zwangsläufig auf Mehr. Seit nunmehr einem Jahrzehnt stellte die Qazai Foundation for the Preservation of Persian Art unter seiner beherzten Leitung einen Quell der Hoffnung dar für all jene, die sich wünschten, das Wahre und Schöne möge über Gewalt und Unterdrückung siegen.
Webster war beeindruckt und misstrauisch zugleich. Trotz ihrer Sentimentalität und vereinzelten Momenten des Schwulstes war es eine formvollendete Rede, so unangestrengt und unbeirrt wie Qazais Gang vor einer halben Stunde durch das Kirchenschiff. Er verströmte die selbstverständliche Autorität eines Politikers und erinnerte Webster an jene Sorte Klienten, die er am wenigsten mochte – die absolut von dem überzeugt waren, was sie sagten.
»Cyrus Mehr«, fuhr Qazai fort, »war ein großer Mann. Ein Mann mit Prinzipien in einer Welt, die diese Prinzipien unterwanderte. Ein Mann mit Haltung.« Er machte eine Pause. »Mit Werten.« Er ließ seinen Blick durch die Kirche hinauf zur Gewölbedecke wandern, als würde er die Götter um Anregung bitten, holte erneut tief Luft, und als er weitersprach, war sein Gesicht von neuem Leben erfüllt.
»Es ist jetzt einen Monat her, seit mein Freund Cyrus ermordet wurde. Seit er auf so brutale Weise aus dem Leben gerissen wurde, in seinem Geburtsland, das er trotz allem immer noch liebte. So wie viele hier. So wie ich. Wir wissen immer noch nicht, wer ihn ermordet hat, und wir kennen immer noch nicht die Gründe. Von der iranischen Regierung werden wir nichts erfahren, obwohl ich glaube, dass sie nur zu gut Bescheid weiß, aber sie hat längst vergessen, was ein Menschenleben wert ist. Sie behauptet, er sei ein Schmuggler gewesen, und seine kriminellen Freunde hätten ihn getötet. Aber jeder hier weiß, dass das Blödsinn ist. Cyrus war ein Anwalt des Schönen und des Wahren, und wenn man sich heutzutage im Iran für diese Werte einsetzt, bezahlt man mit dem Leben. Dieses Land mit seiner antiken Poesie wurde zerstört, und aus seinen Machthabern sind nichts weiter als Händler des Terrors, des Hasses und vor allem der Furcht geworden. Aber ich sage Ihnen, Freunde von Cyrus, Freunde von mir …« Er hielt erneut inne, und in diesem Moment schien sich die Leidenschaft in seinen Augen durch sein ausdrucksloses Gesicht zu brennen. »Cyrus Mehr ist nicht umsonst gestorben. Cyrus Mehr war ein Mann mit Haltung, und sein Leben hatte einen Sinn. In ihm lag etwas Schönes und Wahres, und, ja, etwas, für das es sich zu sterben lohnte. Für Cyrus wird das Tal nicht finster sein.«
Kurz neigte Qazai seinen Kopf, und als er wieder aufschaute, meinte Webster in seinen Augen eine Träne glitzern zu sehen. Falls er das alles nur spielte, war er ein großartiger Darsteller.
Draußen lag London im warmen, hellen Schein der Abendsonne, und der Lärm des Trafalgar Square tat nach der Stille in der Kirche fast körperlich weh. Webster und Hammer waren unter den Letzten, die in die Menschenmenge hinaustraten, die sich auf den breiten Stufen versammelt hatte, und warteten am Rand auf weitere Anweisungen, während Qazai wie der Gastgeber einer Party leichtfüßig von einem Grüppchen zum nächsten tänzelte.
»Und was denkst du?«, sagte Hammer.
»Wie gesagt, er interessiert mich nicht.«
»Sag bloß, du bist nicht neugierig.«
Webster blinzelte in die tief stehende Sonne. »Was für eine Rede.«
Hammer lächelte. »Ohne sein Ego wäre er nicht so ein bedeutender Mann.«
»Ich traue bedeutenden Männern nicht«, sagte Webster.
Von einer Menschentraube löste sich eine kleine, akkurat wirkende Gestalt und kam auf sie zu. Der Mann war schmächtig und dermaßen blass, dass es so aussah, als würde die Sonne durch ihn hindurchscheinen. Er schüttelte Webster die Hand, sie nickten einander zu. Dann wandte er sich an Hammer.
»Mr. Hammer? Yves Senechal. Mr. Qazais persönlicher Anwalt.« Er hatte einen leichten französischen Akzent, und seine Stimme klang rau und körperlos.
»Sehr erfreut, Mr. Senechal. Ben hat mir viel von Ihnen erzählt.«
»Meine Herren«, sagte Senechal. »Der Wagen steht um die Ecke. Mr. Qazai lässt sich noch entschuldigen – er kann jetzt nicht weg hier. Aber er wird bald zu uns stoßen.«
Dann drehte Senechal sich um und ging ohne Eile, mit einem merkwürdigen, schwebenden Gang, Richtung Norden, Richtung Charing
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