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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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gelangt«, erklärte er. »Es ist das nackte Grauen, ein Alptraum. Ich könnte Witze machen und sagen, daß ich diese Möglichkeit mit Rücksicht auf deine hochgelehrte Vernunft nicht erwähnen wollte. Aber solche Scherze verbieten sich von selbst. Jeder Zauberer muß sich mit diesem Aspekt des Wissens auseinandersetzen. Und dabei könntest du, fürchte ich, leicht das Gefühl haben, den Verstand zu verlieren.«
    Und nun setzte mir Don Juan in sehr ernstem Ton auseinander, daß Leben und Bewusstsein nicht einfach Eigenschaften der Organismen sind, sondern eine Frage der Energie. Die Zauberer hätten gesehen, sagte er. daß es zwei Arten von bewußten Wesen auf Erden gibt, die organischen und die anorganischen. Und als sie die beiden miteinander verglichen, hätten sie auch gesehen, daß es sich bei beiden um leuchtende Ansammlungen von Energiefasern des Universums handelt, die sich millionenfach in jedem nur denkbaren Winkel überschneiden. Demnach unterscheiden sich beide Formen vor allem in ihrer Gestalt und im Grad ihrer Leuchtkraft. Anorganische Wesen sind länglich, wie Kerzen geformt, aber dunkel, während die organischen Wesen rund und wesentlich heller sind. Ein weiterer wichtiger Unterschied, den die Zauberer sahen, wie Don Juan sagte, liege darin, daß die organischen Wesen nur ein kurzes Leben und Bewusstsein hätten, während das Leben der anorganischen Wesen unendlich viel länger dauert und ihr Bewusstsein unendlich viel tiefer und ruhiger ist »Die Zauberer können mühelos mit ihnen kommunizieren«, fuhr Don Juan fort. »Denn die anorganischen Wesen haben die entscheidende Voraussetzung zur Kommunikation, nämlich Bewußtsein«
    »Existieren diese anorganischen Wesen aber wirklich, wie du und ich existieren?« fragte ich.
    »Natürlich existieren sie«, antwortete er. »Du kannst mir glauben, die Zauberer sind nicht so dumm, ihr Denken auf Irrwege zu schicken und diese für Wirklichkeit zu halten.«
    »Warum behauptest du aber, daß diese Wesen lebendig sind?«
    »Lebendig zu sein heißt für die Zauberer, Bewusstsein zu haben. Und dies bedeutet, einen Montagepunkt zu haben, umgeben von einer Glut der Bewußtheit; dieser Zustand zeigt den Zauberern, daß das Wesen, das sie vor sich haben, mag es organisch oder anorganisch sein, durchaus zur Wahrnehmung fähig ist. Wahrnehmung ist für die Zauberer die Voraussetzung des Lebendigseins.«
    »Also müssen auch die anorganischen Wesen sterben, nicht wahr. Don Juan?«
    »Natürlich. Sie verlieren ihr Bewusstsein, genau wie wir. Nur daß die Dauer ihres Bewußtseins unermeßlich ist.«
    »Erscheinen diese anorganischen Wesen den Zauberern?«
    »Man kann nie wissen, woran man bei ihnen ist. Ich könnte sagen, diese Wesen werden von uns angelockt. Oder besser gesagt, sie werden von uns gezwungen, mit uns zu kommunizieren.« Don Juan sah mich gespannt an. »Du begreifst das alles gar nicht«, sagte er - in einem Tonfall, als sei er zu einem Entschluß gelangt.
    »Ich kann es mir tatsächlich kaum rational vorstellen«, sagte ich »Ich habe dich gewarnt, daß dein Verstand hier überfordert sein könnte. Am besten stellst du also dein Urteil zurück und lässt den Dingen ihren Lauf. Und das heißt, du lässt die anorganischen Wesen zu dir kommen.«
    »Ist das dein Ernst, Don Juan?«
    »Allerdings. Das Problem bei den anorganischen Wesen ist nur, daß ihr Bewusstsein, verglichen mit unserem, sehr langsam ist. Es dauert Jahre, bis die anorganischen Wesen auf einen Zauberer aufmerksam werden. Also sollte man Geduld haben und warten. Früher oder später stellen sie sich ein. Aber anders, als du oder ich uns einstellen würden. Sie haben eine eigentümliche Art, sich bemerkbar zu machen.«
    »Wie locken die Zauberer sie an? Gibt es ein Ritual?«
    »Na, sie werden sich gewiß nicht auf die Straße stellen und. Schlag Mitternacht, mit bebender Stimme nach ihnen rufen - falls es das ist, was du meinst.«
    »Was tun sie denn?«
    »Sie locken sie im Träumen an. Ich sagte dir doch, es geht um mehr als ein bloßes Anlocken; durch das Träumen zwingen die Zauberer diese Wesen, mit ihnen in Interaktion zu treten.«
    »Wie zwingen die Zauberer sie durch das Träumen?«
    »Sie träumen beharrlich die Position, in die der Montagepunkt sich beim Träumen verlagert hat. Dies erzeugt eine bestimmte Energieladung, was die Aufmerksamkeit dieser Wesen weckt. Es wirkt wie ein Köder auf Fische; sie fallen darauf herein. Indem die Zauberer die ersten zwei Pforten des Träumens

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