Die Kunst des Träumens
gewesen. Es erlaube, Energie direkt wie im Traum wahrzunehmen, statt auf chaotische Weise, bis etwas irgendwann die Wahrnehmung umgruppiere und der Zauberer sich vor eine neue Welt gestellt finde - und genau dies sei mir geschehen.
Ich erzählte ihm von dem Gedanken, der mir gekommen war und den ich kaum zu denken wagte: nämlich, daß die Szene, die ich sah, kein Traum - aber auch nicht unsere alltägliche Welt sei.
»Sie war es nicht«, meinte er. »Dies sage ich dir nun immer wieder, und du glaubst, ich wiederholte mich nur. Ich weiß, wie schwer es dem Verstand fällt, unbegreifliche Möglichkeiten als wirklich anzuerkennen. Aber die neuen Welten existieren! Sie sind eingehüllt, eine in die andere, wie die Schichten einer Zwiebel. Die Welt, in der wir existieren, ist nur eine dieser Schichten.«
»Meinst du etwa, Don Juan, daß es das Ziel deiner Lehren ist, mich auf den Eintritt in diese Welten vorzubereiten?«
»Nein, das meine ich nicht. Wir treten nur übungshalber in diese Welten ein. Solche Reisen sind für die heutigen Zauberer etwas Vorläufiges. Wohl üben wir uns im Träumen, genau wie die alten Zauberer, aber irgendwann schwenken wir ab und betreten Neuland. Die alten Zauberer hatten eine Vorliebe für Verlagerungen des Montagepunktes, darum bewegten sie sich immer auf mehr oder minder bekanntem und berechenbarem Boden. Wir bevorzugen die Bewegungen des Montagepunkts. Die alten Zauberer suchten das menschlich Unbekannte: wir suchen das nichtmenschlich Unbekannte.«
»Ich habe es noch nicht erreicht, nicht wahr?«
»Nein. Du stehst erst am Anfang. Und am Anfang muß jeder die Schritte der alten Zauberer nachvollziehen. Immerhin waren sie es, die das Träumen erfanden.«
»Wann werde ich also endlich anfangen, das Träumen der neuen Zauberer zu lernen?«
»Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Es kann noch Jahre dauern. Außerdem muß ich in deinem Fall außerordentlich vorsichtig sein. Charakterlich bist du eindeutig mit den alten Zauberern verwandt. Das sagte ich dir schon, aber du schaffst es immer, meinen Ermahnungen auszuweichen. Manchmal glaube ich gar, daß eine fremde Energie dich leitet - aber dann verwerfe ich diesen Gedanken wieder. Du bist nicht unredlich.«
»Wovon redest du eigentlich, Don Juan?«
»Du hast ungewollt zwei Dinge getan, die mir höllische Angst machen. Als du zum erstenmal träumtest, bist du mit deinem Energiekörper an einen Ort jenseits dieser Welt gereist. Und dort spazierengelaufen! Und dann bist du mit deinem Energiekörper noch einmal an einen Ort jenseits dieser Welt gereist - aber ausgehend vom Bewusstsein dieser alltäglichen Welt.«
»Was beunruhigt dich daran, Don Juan?«
»Das Träumen fällt dir viel zu leicht. Und das ist ein Fluch, wenn wir nicht aufpassen. Es führt zum menschlich Unbekannten. Und wie ich dir sagte, streben die heutigen Zauberer nach dem nichtmenschlich Unbekannten.«
»Was könnte das nicht-menschlich Unbekannte sein?«
»Befreiung vom Menschsein. Unvorstellbare Welten, die jenseits der menschlichen Bandbreite liegen, die wir aber dennoch wahrnehmen können. Und dorthin nehmen die modernen Zauberer, sozusagen, eine Abzweigung. Ihre Vorliebe gilt dem, was außerhalb des menschlichen Bereichs liegt. Und außerhalb dieses Bereichs liegen ganze Welten - nicht nur Teilbereiche, wie das Reich der Vögel oder das Reich der Säugetiere oder das Reich des Menschen, wenn auch des unbekannten Menschen. Nein, was ich meine, sind allumfassende Welten, wie jene, in der wir leben: totale Welten mit unzähligen Bereichen.«
»Wo sind diese Welten, Don Juan? In anderen Positionen des Montagepunkts?«
»Richtig. In anderen Positionen des Montagepunkts - Positionen allerdings, die die Zauberer durch eine Bewegung des Montagepunkts erreichen, nicht durch eine Verlagerung. Das Eintreten in diese Welten ist eine Art des Träumens, die nur heutige Zauberer üben. Die alten Zauberer hielten sich fern davon, weil es ein hohes Maß an Losgelöstheit verlangt und jeglichen Eigendünkel verbietet: ein Preis, den sie nicht zu zahlen bereit waren. Für die Zauberer, die heute das Träumen praktizieren, ist Träumen die Freiheit. Welten jenseits aller Vorstellungskraft wahrzunehmen.«
»Weichen Zweck hat es aber, all dies wahrzunehmen?«
»Die gleiche Frage hast du mir heute schon einmal gestellt. Du sprichst wie eine echte Krämerseele. Wie hoch ist das Risiko? fragst du.
Wie viel Prozent bringt mir meine Investition? Werde ich gewinnen?
Auf solche
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