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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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unter phantasmagorischen Projektionen verstand. Er sagte, daß die anorganischen Wesen sich an die innersten Gefühle der Träumer heften und erbarmungslos mit ihnen spielen. Sie schaffen Phantome, um die Träumer zu erfreuen oder zu erschrecken. Und er erinnerte mich daran, daß ich selbst mit einem dieser Phantome gerungen hatte. Die anorganischen Wesen, erklärte er, seien hervorragende Projektionskünstler, denen es Freude mache, sich wie Bilder an die Wand zu projizieren.
    »Die alten Zauberer scheiterten an ihrem törichten Vertrauen zu solchen Projektionen«, fuhr er fort. »Die alten Zauberer glaubten, daß ihre Verbündeten Macht hätten. Sie übersahen die Tatsache, daß ihre Verbündeten nur hauchfeine Energie waren, über Welten hinwegprojiziert wie in einem kosmischen Film.«
    »Du widersprichst dir selbst, Don Juan. Sagtest du nicht, daß die anorganischen Wesen real sind? Jetzt behauptest du, sie wären bloße Bilder.«
    »Ich wollte sagen, daß die anorganischen Wesen in unserer Welt wie bewegte, auf eine Leinwand projizierte Bilder sind: und ich kann sogar hinzufugen, daß sie wie bewegte Bilder einer verdünnten Energie sind, die über die Grenzen zweier Welten hinweg projiziert werden.«
    »Was aber sind die anorganischen Wesen in ihrer Welt? Sind sie ebenfalls wie bewegte Bilder?«
    »Keineswegs. Diese Welt ist ebenso real wie unsere. Die alten Zauberer stellten sich die Welt der anorganischen Wesen als eine Ansammlung von Poren und Höhlen vor, schwebend irgendwo an einem dunklen Ort. Und die anorganischen Wesen stellten sie dar als hohle Rohre, zusammengefügt wie die Zellen unseres Körpers. Dieses gewaltige Bündel nannten die alten Zauberer das Labyrinth der Halbschatten.«
    »Sieht also jeder Träumer diese Welt auf die gleiche Weise?«
    »Ja, natürlich. Jeder Träumer sieht sie, wie sie ist. Hältst du dich etwa für einzigartig?«
    Ich musste gestehen, daß irgendetwas an dieser Welt mir immer schon das Gefühl vermittelt hatte, als sei ich einzigartig. Was aber dieses komische, höchst angenehme Gefühl von Exklusivität hervorrief, war nicht die Stimme des Traumbotschafters, auch nichts anderes, was ich mir bewußt vorstellen konnte. »Genau dies verwirrte die alten Zauberer«, sagte Don Juan. »Die anorganischen Wesen machten es mit ihnen genauso wie jetzt mit dir. Sie vermittelten ihnen das Gefühl, einzigartig und exklusiv zu sein. Und noch ein gefährlicheres Gefühl gaben sie ihnen: das Gefühl, Macht zu haben. Macht und Einzigartigkeit sind unübertroffen als korrumpierende Kräfte. Sei auf der Hut!«
    »Wie hast du selbst diese Gefahr vermieden, Don Juan?«
    »Ich bin einige Male in dieser Welt gewesen, und dann nie wieder.«
    Nach Meinung der Zauberer, erklärte Don Juan, sei das Universum gefährlich wie ein Raubtier, und mehr als sonst jemand müßten die Zauberer diesen Umstand bei ihren täglichen Aktivitäten berücksichtigen. Er war überzeugt, daß das Bewusstsein an sich auf Wachstum angelegt sei, und die einzige Art. wie es wachsen könne, sei der Kampf, die Konfrontation auf Leben und Tod. »Das Bewusstsein der Zauberer wächst, wenn sie träumen«, fuhr er fort. »Und im selben Moment, da es wächst, erkennt irgendetwas dort draußen dieses Wachstum und beginnt es zu umwerben. Die anorganischen Wesen sind Werber um dieses neue, gesteigerte Bewußtsein. Die Träumer müssen ihr Leben lang auf der Hut sein. Sie sind eine leichte Beute, sobald sie sich in dieses räuberische Universum hinauswagen.«
    »Was meinst du. Don Juan, sollte ich tun, um mich zu schützen?«
    »Sei auf der Hut, jede Sekunde! Laß nichts und niemand für dich entscheiden. Geh nur dann in die Welt der anorganischen Wesen, wenn du selbst es willst.«
    »Ehrlich, Don Juan, ich weiß nicht, wie ich das tun sollte. Sobald ich einen Scout isoliert habe, erfasst mich ein ungeheurer Sog, weiterzugehen. Bei Gott, ich habe keine Chance, mich anders zu besinnen.«
    »Ach, komm! Willst du mich auf den Arm nehmen? Natürlich kannst du dich widersetzen. Du hast es nur noch nicht versucht, das ist's.«
    Ich beharrte aber ernstlich darauf, daß es mir unmöglich sei. mich zu widersetzen. Er wollte nicht weiter auf das Thema eingehen, und ich war ganz dankbar dafür. Mich plagte inzwischen ein quälendes Schuldgefühl. Denn aus irgendeinem Grund war mir der Gedanke, mich dem Sog der Scouts zu widersetzen, nie in den Sinn gekommen.
    Don Juan behielt recht, wie immer. Denn ich stellte fest, daß ich die Richtung

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