Die Kunst des Träumens
meines Träumens verändern konnte, indem ich dessen Richtung beabsichtigte. Immerhin hatte ich ja beabsichtigt, daß die Scouts mich in ihre Welt versetzten. Wenn ich nun bewußt das Gegenteil beabsichtigte, so war es doch möglich, daß mein Träumen die entgegengesetzte Richtung nehmen würde.
Mit einiger Übung gelang es mir immer zuverlässiger, meine Reisen in das Reich der anorganischen Wesen zu beabsichtigen. Die gesteigerte Fähigkeit, dies zu beabsichtigen, bewirkte bei mir eine bessere Kontrolle über meine Traum-Aufmerksamkeit. Dieser Zuwachs an Kontrolle machte mich wagemutiger. Ich glaubte, straflos solche Reisen unternehmen zu können, weil ich die Reise anhalten konnte, wann immer ich wollte.
»Dein Selbstvertrauen ist unheimlich«, bemerkte Don Juan, als ich ihm - auf seine Bitte - von diesem neuen Aspekt meiner kontrollierten Traum-Aufmerksamkeit berichtete. »Wieso ist es unheimlich?« fragte ich. Denn ich war tief überzeugt vom praktischen Wert meiner Entdeckung. »Weil es das Selbstvertrauen eines Narren ist«, sagte er. »Ich werde dir, hierzu passend, eine Zauberer-Geschichte erzählen. Ich habe sie nicht selbst erlebt, sondern der Lehrer meines Lehrers, der Nagual Elias.«
Und Don Juan erzählte mir, wie der Nagual Elias und die Liebe seines Lebens, eine Zauberin namens Amalia, sich in ihrer Jugend in die Welt der anorganischen Wesen verirrten. Noch nie hatte ich Don Juan davon sprechen hören, daß Zauberer für einander die »Liebe ihres Lebens« sein könnten. Diese Aussage verblüffte mich. Ich machte ihn auf den Widerspruch aufmerksam.
»Es ist gar kein Widerspruch. Ich habe nur bislang darauf verzichtet, dir Geschichten über die Liebe der Zauberer zu erzählen«, sagte er. »Du bist dein Leben lang so in Liebe geschwommen, daß ich dir eine Pause gönnen wollte. Nun also, der Nagual Elias und die Liebe seines Lebens, die Hexe Amalia, verirrten sich in die Welt der anorganischen Wesen«, fuhr Don Juan fort. »Sie gingen nicht träumend dorthin, sondern mit ihrem physischen Körper.«
»Wie konnte das geschehen. Don Juan?«
»Ihr Lehrer, der Nagual Rosendo, stand in Temperament und Praxis den alten Zauberern sehr nah. Er hatte die Absicht. Elias und Amalia zu helfen, aber statt dessen stieß er sie über eine tödliche Grenze hinweg. An solch eine Grenzüberschreitung hatte der Nagual Rosendo nicht gedacht. Er wollte seine beiden Schüler nur in die zweite Aufmerksamkeit versetzen, aber die Folge war ihr Verschwinden.«
Don Juan meinte, er wolle nicht auf alle Einzelheiten dieser langen und komplizierten Geschichte eingehen und mir nur erzählen, wie sie sich in dieser Weit verirrten. Der Nagual Rosendo hatte sich nämlich verrechnet, sagte er, als er annahm, daß die anorganischen Wesen sich nicht im mindesten für Frauen interessierten. Dabei war seine Überlegung richtig, geleitet von der Erkenntnis der Zauberer, daß das Universum vorwiegend weiblich ist und daß Männlichkeit, als Ableger der Weiblichkeit, ziemlich selten und daher begehrt ist.
Kurz abschweifend, meinte Don Juan, daß diese Seltenheit des männlichen Prinzips vielleicht der Grund für die ungerechtfertigte Vorherrschaft der Männer auf unserem Planeten sei. Dieses Thema interessierte mich, und ich wollte dabei verweilen, doch er fuhr mit seiner Geschichte fort. Der Nagual Rosendo habe nämlich den Vorsatz gehabt, sagte er. Elias und Amalia ausschließlich im Zustand der zweiten Aufmerksamkeit zu unterrichten. Und zu diesem Zweck befolgte er die vorgeschriebene Technik der alten Zauberer. Er verpflichtete im Traum einen Scout und befahl diesem, seine Schüler in die zweite Aufmerksamkeit zu versetzen, indem er ihre Montagepunkte in die entsprechende Position verschob.
Theoretisch hätte ein mächtiger Scout ihren Montagepunkt ganz mühelos in die richtige Position verschieben können. Was der Nagual Rosendo aber nicht bedachte, war die List der anorganischen Wesen. Wohl verschob der Scout die Montagepunkte der beiden Schüler, aber er verschob sie in eine Position, aus der es ganz leicht war, sie körperlich in das Reich der anorganischen Wesen zu transportieren.
»Ist es denn möglich, sich körperlich transportieren zu lassen?« fragte ich.
»Es ist möglich«, versicherte er mir. »Wir sind Energie, die durch die Fixierung des Montagepunkts an einem Ort in einer bestimmten Form und Position gehalten wird. Wenn dieser Ort sich verändert, werden Form und Position sich entsprechend verändern. Die
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