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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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anorganischen Wesen brauchen nur unseren Montagepunkt an den richtigen Ort zu verschieben - und schon fliegen wir los wie eine Rakete, mit Schuhen, Hut und allem.«
    »Kann das jedem von uns passieren, Don Juan?«
    »Ganz gewiß. Besonders wenn der Gesamtbetrag unserer Energie richtig ist. Offenbar war der Gesamtbetrag der kombinierten Energie von Elias und Amalia etwas, das die anorganischen Wesen nicht übersehen konnten. Es ist absurd, den anorganischen Wesen zu vertrauen. Sie haben ihren eigenen Rhythmus, und es ist kein menschlicher.«
    Ich fragte Don Juan, was genau der Nagual Rosendo getan habe, um seine Schüler in diese Welt zu schicken. Ich wußte, wie dumm es von mir war, überhaupt zu fragen, denn er würde meine Frage ignorieren. Darum war ich wirklich überrascht, als er zu erzählen anfing.
    »Die Schritte dazu sind ganz einfach«, sagte er. »Rosendo steckte seine Schüler in eine sehr kleine, abgeschlossene Kammer, so etwas wie einen Schrank. Dann versenkte er sich ins Träumen und rief einen Scout aus dem Reich der anorganischen Wesen herbei, indem er seine Absicht aussprach, einen zu bekommen; und dann äußerte er die Absicht, seine Schüler dem Scout zu überantworten. Der Scout akzeptierte natürlich das Geschenk und trug sie in einem unbewachten Augenblick davon, während sie sich gerade in diesem Schrank liebten. Als der Nagual den Schrank aufsperrte, waren sie nicht mehr da.«
    Genau dies sei bei den alten Zauberern der Brauch gewesen, erklärte Don Juan, nämlich die Schüler den anorganischen Wesen als Gabe darzubringen. Dies habe der Nagual Rosendo nicht vorgehabt, doch er ließ sich von seiner absurden Überzeugung hinreißen, er habe die anorganischen Wesen unter Kontrolle. »Die Manöver der Zauberer sind lebensgefährlich«, fuhr Don Juan fort. »Ich beschwöre dich, sei ganz außerordentlich auf der Hut. Hüte dich vor allem vor törichtem Selbstvertrauen.«
    »Was geschah schließlich mit dem Nagual Elias und Amalia?« fragte ich.
    »Der Nagual Rosendo musste sich körperlich in diese Weit begeben und sie suchen«, antwortete er. »Fand er sie?«
    »Ja, er fand sie, nach unsäglichen Mühen. Doch er konnte sie nicht ganz herausholen. Darum blieben die beiden jungen Leute immer halb Gefangene dieses Reiches.«
    »Kanntest du sie, Don Juan?«
    »Natürlich kannte ich sie, und ich versichere dir, sie waren sehr sonderbar.«

6. Die Welt der Schatten
    »Du mußt größte Vorsicht walten lassen, denn du bist in Gefahr, den anorganischen Wesen zum Opfer zu fallen«, sagte Don Juan ganz unerwartet, nachdem wir uns über etwas unterhalten hatten, das mit dem Träumen gar nichts zu tun hatte. Seine Worte erschreckten mich. Wie immer versuchte ich mich zu rechtfertigen. »Du mußt mich nicht warnen, ich bin sehr vorsichtig«, beteuerte ich ihm.
    »Die anorganischen Wesen führen etwas im Schilde«, sagte er. »Ich spüre es, und ich kann mich nicht damit abfinden und sagen, daß sie uns ja von Anfang an Fallen stellen und so versuchen, unbeholfene Träumer wirksam und für immer auszuschalten.« So eindringlich sprach er zu mir, daß ich ihm sofort beteuerte, ich hätte keineswegs die Absicht, in eine Falle zu tappen. »Du darfst nicht vergessen, daß die anorganischen Wesen über ganz erstaunliche Mittel verfügen«, fuhr er fort. »Ihre Bewußtheit ist enorm. Verglichen damit sind wir nur Kinder; und zwar Kinder mit viel Energie, auf die es die anorganischen Wesen abgesehen haben.«
    In abstraktem Sinn, so sagte ich ihm, verstand ich seinen Standpunkt und seine Besorgnis durchaus: aber konkret hielt ich seine Warnung dennoch für unberechtigt, weil ich meine Traumübungen gut unter Kontrolle hätte.
    Darauf folgte ein längeres, unbehagliches Schweigen, bis Don Juan weitersprach. Er wechselte aber das Thema und meinte, er müsse mich auf ein sehr wichtiges Problem seiner Traum-Unterweisung aufmerksam machen - ein Problem, das mir noch nicht bewußt geworden sei.
    »Du hast nun verstanden, daß die Pforten des Träumens spezifische Hindernisse sind«, sagte er. »Aber du hast noch nicht verstanden, daß die Übungen, die dir aufgegeben sind, um eine Pforte zu erreichen und zu durchschreiten, eigentlich gar nichts mit dieser Pforte zu tun haben.«
    »Damit kann ich nichts anfangen, Don Juan.«
    »Nun, ich meine damit, daß es falsch wäre zu sagen, die zweite Traumpforte sei erreicht und durchschritten, sobald der Träumer gelernt hat, in einem anderen Traum aufzuwachen, oder sobald er lernt,

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