Die Kunst des Träumens
einsatzfähig«, sagte er. »Wenn du also Energie im Traum siehst, nimmst du eine reale Welt wahr - wenn auch im Gewand eines Traumes. Das ist die Bedeutung der Reise, die du unternommen hast. Sie war real. Es gab Energie erzeugende Objekte, die dich beinah das Leben kosteten.«
»War es denn so gefährlich. Don Juan?«
»Da kannst du wetten! Das Wesen, das dich angriff, bestand aus reiner Bewußtheit und war so gefährlich, wie etwas nur gefährlich sein kann. Du hast seine Energie gesehen. Ich bin sicher, du weißt jetzt, daß wir, solange wir nicht im Traum sehen, ein reales, Energie erzeugendes Objekt nicht von einer Phantomprojektion unterscheiden können. Auch wenn du also in einen Kampf mit den anorganischen Wesen verwickelt wurdest, auch wenn du die Scouts und die Tunnel tatsächlich gesehen hast, weiß dein Energiekörper nicht mit Gewißheit, ob sie real waren, das heißt ob sie Energie erzeugten. Du bist dir zu neunundneunzig Prozent sicher, nicht zu hundert Prozent.«
Don Juan wollte noch weiter über die Reise sprechen, die ich unternommen hatte. Aus einem unerklärlichen Grund widerstrebte es mir, dieses Thema zu behandeln. Was er sagte, rief bei mir sofort eine sonderbare Reaktion hervor. Ich merkte, daß ich mich mit einer tiefen und seltsamen Furcht auseinandersetzen musste; einer dunklen Furcht, die im Innern an mir nagte. »Du bist eindeutig in eine andere Haut der Zwiebel vorgestoßen«, sagte Don Juan zum Abschluß einer Erklärung, auf die ich nicht weiter geachtet hatte.
»Was ist diese andere Haut der Zwiebel. Don Juan?«
»Die Welt ist wie eine Zwiebel. Sie hat viele Schichten. Die Welt, die wir kennen, ist nur eine davon. Manchmal überschreiten wir die Grenzen und stoßen in eine andere Schicht vor: in eine andere Welt, dieser ganz ähnlich, aber nicht dieselbe. Und du bist in eine davon vorgestoßen, ganz von selbst.«
»Wie ist diese Reise möglich, von der du sprichst. Don Juan?«
»Das ist eine sinnlose Frage, denn niemand kann sie beantworten. Nach Auffassung der Zauberer ist das Universum in Schichten aufgebaut, die der Energiekörper durchqueren kann. Weißt du. wo die alten Zauberer noch bis zum heutigen Tag leben? In einer anderen Schicht; in einer anderen Haut der Zwiebel.«
»Für mich ist die Vorstellung einer realen und praktischen Reise, die ich im Traum unternehme, sehr schwer zu verstehen oder zu akzeptieren, Don Juan.«
»Dieses Thema haben wir doch erschöpfend diskutiert. Ich war überzeugt, du hättest verstanden, daß die Reise des Energiekörpers ausschließlich von der Position des Montagepunkts abhängig ist.«
»Das hast du mir gesagt. Und ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Dennoch ist die Aussage, daß die Reise in der Position des Montagepunktes stattfindet, für mich sinnlos.«
»Deine Schwierigkeit ist dein Zynismus. Früher war ich wie du. Der Zynismus erlaubt uns nicht, unser Weltverständnis konsequent zu verändern. Er zwingt uns auch zu der Überzeugung, daß wir immer rechthätten.«
Ich verstand durchaus, was er meinte. Aber ich musste ihn doch daran erinnern, wie ich gegen all dies angekämpft hatte. »Ich möchte dir etwas ganz Verrücktes vorschlagen, das eine Wendung herbeiführen könnte«, sagte er. »Wiederhole dir unaufhörlich, daß das Mysterium des Montagepunktes der Dreh- und Angelpunkt der Zauberei ist. Wenn du es dir lange genug wiederholst, wird eine unsichtbare Kraft die Führung übernehmen und die geeigneten Veränderungen in dir bewirken.« Don Juan machte nicht den Eindruck, als ob er scherzte. Ich wußte, er meinte jedes Wort ernst. Was mich störte, war seine Forderung, ich sollte mir diese Formel unaufhörlich wiederholen. Es kam mir blöde vor, musste ich mir gestehen. »Gib deine zynische Haltung auf«, herrschte er mich an. »Wiederhole die Formel in gutem Glauben.«
»Das Geheimnis des Montagepunktes ist alles in der Zauberei«, fuhr er fort, ohne mich anzusehen. »Oder besser gesagt, alles in der Zauberei beruht auf der Manipulation des Montagepunktes. Das weißt du wohl, aber du mußt es dir wiederholen.«
Einen Augenblick, während ich ihn so sprechen hörte, glaubte ich vor Qual zu sterben. Eine unglaubliche Traurigkeit legte sich mir auf die Brust, so daß ich vor Schmerz aufschrie. Mir war, als schiebe sich mein Magen gegen das Zwerchfell, in die Brusthöhle hinauf. Der Druck war so stark, daß ich die Bewußtseinsebene wechselte und wieder in meinen normalen Zustand eintrat. Was wir eben noch
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