Die Kunst engagierter Gelassenheit
wartet und antwortet.«
Unsere Gelassenheit resultiert nicht nur aus der Konfrontation mit dem Worst-case-Szenario und dem Akzeptieren von Bruder Tod, sondern ist auch eine Frucht des Getragenseins in der grenzenlosen Hand der Liebe, die wir »Gott« nennen. Gelassenheit in Gott bedeutet nicht, dass wir unsere Verantwortung für die Welt in frommen Gebeten an Gott delegieren. Der schwarze Baptistenpastor und ermordete Bürgerrechtler Martin Luther King meinte: »Kein Problem wird gelöst, wenn wir träge darauf warten, dass Gott allein sich darum kümmert.«
Wer die Eigenverantwortung voll wahrnimmt und gleichzeitig auf Gottes Liebe, Nähe und Hilfe vertrauen kann wie die Blätter in Rilkes Herbstgedicht, erreicht die höchste Form von Gelassenheit. Der bekannte Symbolforscher Alfons Rosenberg drückte für Christen aus, was auch für Glaubende anderer Religionen gelten kann:
»Christen haben sich in der Zukunft vor allen anderen durch ihre tragfähige Gelassenheit zu unterscheiden. Und zwar nicht mit einer Gelassenheit im Sinn des leidenschaftslosen Alles-so-lassen-wie-es-ist des lebensfremden Illusionisten; nicht als geheime Drückeberger vorbei an all dem Bedrängenden, Bedrohenden und Erdrückenden des Lebens. Gelassenheit vielmehr als Grundhaltung vertrauensvollen Sich-lassen-Könnens inmitten der Wechselfälle des Schicksals, inmitten der täglichen Anfechtung durch Sorge und Angst, und noch im Angesicht des Todes. Gelassenheit also als Ausdruck eines innersten Sich-getragen-Wissens, das unabhängig geworden ist von der Gunst oder Ungunst äußerer Umstände und innerer Zustände. «
Unsere innere Erfahrung des Sich-lassen-Könnens und Sichgetragen-Wissens vollzieht sich an dem Punkt, wo sich in uns Gelassenheit und Engagement treffen, verbinden, eins werden und gegenseitig bedingen, ergänzen und ermöglichen. Diese Erfahrung ist wohl bei den meisten Menschen vorhanden, auch wenn sie diese unterschiedlich erleben und formulieren:
»In vielen Situationen, die ich nicht kontrollieren kann, überlasse ich den Lauf der Dinge dem beschützenden Gott. Es ist aber eine dünne Grenze zwischen Fatalismus und Gelassenheit.« (Frau, 36 Jahre)
»Der Glaube an ein höheres Selbst, an eine universelle Liebe, gibt mir enorm viel Zuversicht und Gelassenheit.« (Frau, 42 Jahre)
»Gerade wenn ich Sorgen habe, lasse ich sie abends bewusst los und übergebe sie der Kraft, die wir Gott nennen.« (Frau, 46 Jahre)
»Der Glaube an ein wie auch immer geartetes Sinnstiftendes gibt mir Urvertrauen und damit Gelassenheit, die Befreiung von der Vorstellung, alles selbst unter Kontrolle haben zu müssen. Diese Fähigkeit, die Kontrolle loslassen zu können, mich zu überantworten, ist Voraussetzung für Gelassenheit. Das gelingt jedoch nur bei einem positiven Gottesbild.« (Frau, 49 Jahre)
»Glaube hat große Auswirkung auf Gelassenheit. Anliegen, welche einen Effort meinerseits betreffen, überlasse ich aber nicht Gott, sondern hole mir bei ihm lediglich die Kraft dazu.« (Frau, 39 Jahre)
Abschließen möchte ich diesen zweiten Buchteil mit den 10 Regeln zur Gelassenheit. Verfasst hat sie der legendäre Papst Johannes XXIII. (1881 – 1963), der sich mit einer gesunden Portion Selbstironie auch oft gesagt haben soll: »Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.« Da er seine 10 Regeln der Gelassenheit bewusst auf den aktuellen Tag bezieht, könnten sie auch im sechsten Kapitel (Heute leben und ganz handeln) stehen. Doch der gebürtige Angelo Giuseppe Roncalli erwähnt in den 10 Punkten praktisch alle Dimensionen der Gelassenheit und rundet diesen Buchteil quasi in einer Synthese ab:
Nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben, ohne das Problem meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.
Nur für heute werde ich die größte Sorge für mein Auftreten pflegen: vornehm in meinem Verhalten; ich werde niemand kritisieren; ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern ... nur mich selbst.
Nur für heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für das Glück geschaffen bin ... nicht nur für die andere, sondern auch für diese Welt.
Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass die Umstände sich an meine Wünsche anpassen.
Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen; wie die Nahrung für das Leben des Leibes notwendig ist, ist die gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.
Nur für heute werde ich eine
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