Die Kunst, frei zu sein
Salat anpflanzt, könnten ihn Schnecken vernichten, doch im Innern eines umgedrehten Joghurtbehälters wird er gedeihen. Pappe sollte nicht weggeworfen werden, denn man kann Kartons wunderbar zurechtschneiden. Vor einiger Zeit haben wir Eiscremeläden aus Pappkartons gebastelt. Außerdem nimmt zerkleinerte Pappe auf den Komposthaufen überschüssige Feuchtigkeit auf. Sie ist auch hilfreich, wenn du neuen Boden für den Anbau vorbereitest. Leg einfach eine Schicht über das Gras und die Unkräuter und bedecke die Pappe dann mit Kompost, Stroh und anderen organischen Stoffen. Mit Zeitungen kann man Feuer anzünden. Der Vorteil für den verantwortungsvollen Müßiggänger ist der, dass er seiner Umwelt mit jeder Anwendung dieser Methoden eine Menge Arbeit erspart. Es ist die Pflicht des Müßiggängers, nicht nur sein eigenes Leben so arbeitsfrei wie möglich zu gestalten, sondern auch unnötige Belastungen für andere zu vermeiden. Der größte Teil der Arbeit ist Verschwendung, und deshalb verhält sich der Müßiggänger sehr rationell.
Natürlich waren auch die Menschen des Mittelalters Permakulturisten. In einem Zeitalter ohne Öl war sämtliche Energie erneuerbar, Geld zirkulierte in lokalen Gemeinschaften, und es gab keinen Abfall. Alles diente irgendeinem Zweck und kehrte in einem freundlichen Zyklus in den Haushalt zurück.
Der traditionelle Einwand gegen anarchistische Ideen lautet: »Und wer soll die Schmutzarbeit machen?« Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort: Wir erledigen unsere Schmutzarbeit selbst. Und wenn es dein eigener Schmutz ist, den du beseitigst, wird er dir nicht so schmutzig erscheinen.
Nehmen wir das Schaufeln von Scheiße. Meiner Erfahrung nach ist dies gar nicht mal die unangenehmste Aufgabe der Welt. Außerdem gibt es einen Riesenunterschied zwischen dem Schaufeln deiner eigenen Scheiße und dem Schaufeln der Scheiße eines anderen. Wäre ich gezwungen, in einer Fabrik sieben Stunden täglich Scheiße zu beseitigen, würde ich bestimmt sehr bald jeden Moment verabscheuen. Aber die eigene Scheiße auf deinem eigenen Grundstück zu einer dir genehmen Zeit zu schaufeln und sie zu nutzen – nun, das ist ein Vergnügen. Ich freue mich, wenn ich Hühner- und Pferdescheiße herumliegen sehe, weil ich weiß, dass sie eine fantastische Wirkung auf den Boden haben. Und sie kosten nichts. Deshalb ist es eine große Freude, sie aufzusammeln.
Es ist bemerkenswert, dass alles, was aus dem Hinterteil eines Pferdes oder einer Kuh oder eines Huhns herauskommt, dazu taugt, den Boden fruchtbar bleiben zu lassen. Wir sollten uns diese Tatsache unbedingt zunutze machen. Um frei zu sein, greif auf Dinge zurück, die frei erhältlich sind. Wer die Sparsamkeit gutheißt, heißt auch die Freiheit gut. Nur Sklaven und Trottel sind Verschwender; sie sind die Tölpel des kapitalistischen Systems.
SCHAUFEL SCHEISSE!
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Hör auf zu arbeiten,
fang an zu Leben
Idler: Kann man leben, ohne zu arbeiten?
Vaneigem: Wir können nur leben, ohne zu arbeiten.
In: »Conversation with Raoul Vaneigem« ,
Idler 34, 2004
Was also ist die richtige Art zu leben?
Das Leben muss als Spiel gelebt werden … dann wird
ein Mensch fähig sein, die Götter gnädig zu stimmen
und sich gegen seine Feinde zu verteidigen
und den Wettkampf zu gewinnen.
Plato
Wenn dir deine Stelle wirklich zusagt, wenn du sonntagabends voller Freude ins Bett gehst, wenn du montagmorgens voller Aufregung und Vorfreude auf die Wonnen des kommenden Tages aus dem Bett springst, wenn du deinen Chef und deine Arbeit liebst, dann kannst du dieses Kapitel auslassen. Wenn du deine Stelle jedoch für mies hältst, für anstrengend, aufreibend, langweilig, frustrierend, erbitternd, erniedrigend und schlecht bezahlt, dann lies weiter. Du bist nicht unweigerlich an sie gebunden. Du brauchst dich nicht mit ihr abzufinden. Es gibt Alternativen. Arbeit und Leben brauchen nicht miteinander zu konkurrieren. Sie können sich im Gedanken des Spiels treffen.
Es war die Tragödie des neunzehnten Jahrhunderts, dass sich westliche Menschen in erster Linie als Arbeiter zu betrachten begannen. Das Leben wurde zu einer ernsten Sache. Frivolität, Frohsinn, Spiel, Ritual, Tanz, Musik, Heiterkeit, Verkleidung – jene kindlichen Freuden, die einst alle eine zentrale Rolle im Leben der Adligen, Priester und Bauern spielten – waren seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts unablässig angegriffen worden.
Vor der Reformation feierte man in England eine nie endende Party. Es
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