Die Kunst, frei zu sein
ging in der Tat fröhlich zu. Ronald Hutton, Autor eines herrlichen Buches mit dem Titel The Rise and Fall of Merry England, schildert die Festlichkeiten, die das ganze Jahr hindurch von den fröhlichen Engländern begangen wurden. Zum Beispiel dauerte Weihnachten nicht weniger als zwölf Tage, an denen niemand arbeiten durfte. Bald danach, am 2. Februar, folgte Mariä Lichtmess und dann, am 14. Februar, der Valentinstag. Am siebten Sonntag vor Ostern schloss sich Fastnacht an und erstreckte sich über drei Tage. Ostern dauerte ganze zehn Tage und ging in die Hocktide über. Nun hatte man ein wenig Zeit zum Arbeiten, bevor der Georgstag am 23. April folgte. Eine Woche später kam der Maifeiertag, der zwei Monate der Lustbarkeiten und der sexuellen Vergnügungen in den Wäldern einleitete. Am 24. Juni beging man die Sommersonnenwende und Fronleichnam. Am 28. Juni wurde der Peterstag gefeiert, gefolgt von Lammas am 1. August, der in eine Zeit der Sommerjahrmärkte und der Erntefeste überging. Im November folgten der Martinstag und im Dezember das Adventfasten, und damit war man wieder bei Weihnachten angelangt.
»Merry Old England« war laut Hutton »eine Gesellschaft, in der Rituale und Feste für viele unterschiedliche Zwecke auf vielen unterschiedlichen Ebenen genutzt wurden«. Er fährt fort: »Dann kam es zu einer direkten ideologischen Herausforderung durch den frühen Protestantismus, der sich anschickte, nicht nur den physischen und ideologischen Kontext des Gottesdienstes zu reformieren, sondern auch den größten Teil der Festlichkeitskultur zu zerstören, mit der die alte Kirche verknüpft gewesen war.«
Nach dem puritanischen Angriff auf das Vergnügen wurde im neunzehnten Jahrhundert schließlich ein neuer Gedanke laut: Statt die Freude zu verbieten, beschloss man, sie zu verkaufen und Geld mit ihr zu verdienen. Man bot uns an, unser Spielbedürfnis durch Produkte zu befriedigen. Beispielsweise steht die Schallplattenbranche für die Industrialisierung und Kommerzialisierung der Musik. Dadurch wird etwas, das seinem Wesen nach Nicht-Arbeit ist, in Arbeit verwandelt. Die Industrialisierung ist einVerfahren, das Leben aufzusplittern und mit jedem Teilchen Profite zu machen. Andere Beispiele liefern der Kommunikationsbereich (bezahl, um zu reden), die Energiebranche (bezahl für den Wind), die Lebensmittelindustrie (bezahl für das, was die Natur kostenlos herstellt), die Unterhaltungsbranche (bezahl, um dich ablenken zu lassen) und so weiter. All diese Tätigkeiten waren einst häuslich und in den meisten Fällen kostenlos.
Die Grenze zwischen Kunst und Leben ist in primitiveren, weniger ernsten, spielerischen Gesellschaften noch heute verschwommen, etwa im ländlichen Mexiko, wo die Menschen von den Gebirgshöfen in die Orte kommen, um ihre kunsthandwerklichen Erzeugnisse auf dem Markt zu verkaufen. Die Produkte sind nützlich und schön: Teppiche, Keramik, Mützen, Holzspielzeug. Dies ist keine Sklavenexistenz, denn der Handwerker/Kleinbauer übernimmt die Verantwortung für sein eigenes Leben. Eric Gill schreibt über die alten Zeiten:
Jeder Arbeiter war bis zu einem gewissen Grade verantwortlich – nicht nur für das, was ihm zu tun aufgetragen wurde, sondern auch für die geistige Qualität dessen, was seine Tätigkeit hervorbrachte. Er war mehr oder weniger unabhängig, und man erwartete von ihm, wofür er auch bezahlt wurde, dass er seine Intelligenz einsetzte, und deshalb … war er jemand, der den Gegenstand, den er herzustellen hatte, sowohl reizvoll als auch nützlich gestalten wollte.
Gill sprach von »Integrität«. Damit meinte er jedoch nicht, man solle »seinen Prinzipien treu bleiben«, sondern man solle »die unterschiedlichen Teile seines Lebens integrieren«. Die Probleme, die Ängste, die Krankheiten, die Schulden würden durch die Trennung unseres Lebens in miteinander konkurrierende Zonen entstehen. Wir müssten uns bemühen, diese Zonen zu integrieren, sie in Einklang zu bringen, so dass Arbeit und Leben ein und dasselbe seien. Trotzdem kann man natürlich mit seiner jeweiligen Tätigkeit Geld verdienen. Ich zum Beispiel verbringe jeden Morgen damit, dass ich schreibe und lese, während der Rest des Tages von Haushaltsarbeiten in Anspruch genommen wird: Gartenarbeit, Saubermachen, Backen. Gartenarbeit hat den besonderen Vorteil, dass sie viel Trödelei mit sich bringt. Mindestens die Hälfte der Zeit dient dazu, in die Luft zu gucken. Manchmal kann ich die Kinder überreden,
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