Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Handeln, umso tiefer wird auch die Kluft zwischen Wollen und
Tun. Erst dieser Graben ermöglicht die vielen moralischen Skrupel im Nachhinein: dass wir hadern, verzweifeln und bereuen.
Vermutlich ist dies die Antwort darauf, warum sich fast alle Menschen, die ich kenne, irgendwie für die Guten halten und es trotzdem so viel Ungerechtigkeit und Niedertracht in der Welt gibt. Weil wir es als einzige Tierart schaffen, gute Vorsätze zu hegen und sie zugleich unberücksichtigt zu lassen. Weil wir es fertigbringen, bei uns und anderen mit zweierlei Maß zu messen. Weil wir selten um eine Ausrede verlegen sind. Weil wir gerne geneigt sind, unser Selbstbild schönzufärben. Und weil wir uns frühzeitig darin üben, Verantwortung abzuwälzen.
Der dritte Teil stellt die Frage, was wir aus all dem lernen können für unser zukünftiges Zusammenleben. Wenn Bertolt Brecht - der große Soziobiologe unter den Dichtern - Recht haben sollte, dann kommt »erst das Fressen und dann die Moral«. Folgerichtig müsste es in einem Land wie Deutschland, in dem es so viel Fressen im Überfluss gibt, auch sehr viel Moral geben. Tatsächlich leben wir in einem sehr liberalen Land, der wohl freiheitlichsten und tolerantesten Kultur der Geschichte. Doch dagegen steht die nicht ganz unberechtigte Klage über den Werteverlust. Tugenden und öffentliche Moral schmelzen derzeit dramatisch dahin. Kirche, Vaterland, Heimatmilieu, Weltanschauung - die Altbauten aus der bürgerlichen Gründerzeit, in denen unsere Moral früher recht oder schlecht hauste, bröckeln und verfallen. Wer will sich darüber wundern? Ein außerirdischer Beobachter, der auch nur einen einzigen Tag lang die Werbung in Fernsehen, Radio, Zeitung und Internet studierte, würde wohl kaum ein Indiz dafür finden, dass wir in einer Demokratie leben; einer Gesellschaftsordnung, die auf Kooperation, Solidarität und Zusammenhalt beruht. Was er wahrnähme, wäre eine Propaganda, die mit finanziellem Milliardenaufwand nichts anderes betreibt als die unausgesetzte Förderung des Egoismus.
Ich möchte in diesem Buch einige Anregungen geben, was wir in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik möglicherweise besser
machen können. Es geht dabei nicht nur um gute oder schlechte Gesinnung. Es geht darum, wie sich unser Engagement für andere fördern lässt - in Zeiten, in denen unsere Gesellschaft auf dem Spiel steht wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Und um Vorschläge, wie wir die sozialen Institutionen so umbauen könnten, dass sie das Gute leichter und das Schlechte schwerer machen.
Mein besonderer Dank gilt dabei all den Menschen, die dieses Buch als Erste gelesen und mit ihrem klugen Rat kommentiert und verbessert haben. Den scharfen Blick des Biologen warf Prof. Dr. Jens Krause von der Humboldt-Universität Berlin auf das Buch. Prof. Dr. Thomas Mussweiler von der Universität Köln studierte es als Sozialpsychologe. Prof. Dr. Christoph Menke von der Universität Frankfurt am Main las es als Philosoph. Prof. Dr. Hans Werner Ingensiep von der Universität Duisburg-Essen begutachtete es als Biologe und Philosoph. Prof. Dr. Achim Peters von der Universität Lübeck beurteilte es aus der Sicht eines Neurobiologen. Prof. Dr. Jürg Helbling von der Universität Luzern inspizierte es aus der Warte eines Sozialanthropologen und Ethnologen. Ihre Anregungen und ihre Kritik waren mir sehr wertvoll. Ich danke Dr. Torsten Albig für seine Ausführungen über Kommunalpolitik, Martin Möller und Hans-Jürgen Precht für ihre kritischen und hilfreichen Anmerkungen. Mein besonderer Dank gilt Matthieu, David und Juliette für ihre wertvollen Lektüren. Und ganz besonders meiner Frau Caroline, ohne die dieses Buch niemals geworden wäre, was es ist.
Und nicht zuletzt danke ich der Deutschen Bahn. Ein Großteil der Arbeit an diesem Buch wurde in vollen Zügen genossen, in Speisewagen und an turbulenten 4er-Tischen. Viel häufiger aber noch in der melancholischen Morgenstille der Mosellandschaft auf einer völlig unrentablen Nebenstrecke unter Einkaufsnomaden, Arbeitsmigranten und Kegelklubs zwischen Köln, Cochem, Wittlich, Wasserbillig und Luxemburg. Ich danke den ungezählten Gesprächen, deren unfreiwilliger Zeuge ich war. Sie bestärkten mich immer neu in der Ansicht, dass das Wesen des
Menschen von Philosophen oft nur unzulänglich erfasst wird. Und ich danke dem unbekannten Bistrokellner, der mit mir so oft den Morgen geteilt hat und dessen Maximen und Reflexionen meine Arbeit so oft
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