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Die Kunst, nicht abzustumpfen

Die Kunst, nicht abzustumpfen

Titel: Die Kunst, nicht abzustumpfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Marks
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vorzubereiten, können wir in drei verschiedene Phasen einteilen.

    Zeitverläufe im Aktionsprozess

    In der ersten Phase (»Aktionsphase«) wird eine neue Idee von wenigen Einzelpersonen oder Gruppen thematisiert und durch Aktionen in die Öffentlichkeit zu tragen versucht. Sie werden von der Mehrheit der Bevölkerung zunächst als »Verrückte«, »Spinner« oder »radikale Minderheit« betrachtet. Später, mit zeitlicher Verzögerung (Phase der »Öffentlichkeit«), beginnt die Idee langsam in das öffentliche Bewusstsein einzusickern; sie wird allmählich mehrheitsfähig. Nochmals später wird die neue Idee von der Politik thematisiert und drückt sich in politischen Entscheidungen und Gesetzen aus (Phase der »Legislative«).
    Diese Phasenverschiebung war z. B. in den vergangenen Jahrzehnten beim Thema Umweltschutz/Ökologie zu beobachten: Noch mindestens bis in die 1970er -Jahre galten Menschen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzten, als »grüne Spinner«. Diese Abwertung veränderte sich in den folgenden Jahrzehnten nur langsam, während das Thema von immer größeren Teilen der Bevölkerung akzeptiert wurde. Heute ist
diese Idee fester Bestandteil im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik und Gegenstand der Gesetzgebung. Für eine Politik der ökologischen Nachhaltigkeit sind die Deutschen offen, von der CSU bis hin zur Linken. Nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung von 2011 wünschen sich 88 Prozent eine »neue Wirtschaftsordnung«, weil der bestehende Kapitalismus weder für soziale Gerechtigkeit noch Schutz der Umwelt sorgt (Kessler 2011a, 13).
    Diese Phasenverschiebung verdeutlicht, dass die Wirkungen von sozialem, politischem oder ökologischem Engagement oft nur mit großem zeitlichem Abstand sichtbar werden. Das gilt es auszuhalten. Es gilt auch zu warten, dies ist nicht mit Passivität zu verwechseln (ursprünglich bedeutet das Wort in etwa: behüten, bewachen, erwarten, versorgen, pflegen). Warten steht für Geduld; sich, so Karlheinz Geißler (1992, 165), wohlwollend »einer Sache annehmen. Wachsen und reifen lassen, Entwicklungen aufmerksam verfolgen.« Denn bestimmte Entwicklungen lassen sich nicht herbeizwingen, wie dies mancher politischer Abenteurer oder »falscher Messias« propagiert, so Erich Fromm (1991, 22).
    Merken
    Es bedarf auch der Fähigkeit, den Moment des Kairos zu »merken« und ihn so gut wie möglich zu nutzen. Ich vergleiche dies gerne mit dem Wellenreiten, bei dem es wesentlich darauf ankommt, die »richtige« Welle zu erkennen und sie gekonnt zu »besteigen«, um sich von ihrer großen Kraft tragen zu lassen. Ist der richtige Moment verpasst, dann kann die Welle auch nicht mehr genutzt werden. In der obigen Beschreibung des Kairos war dessen Haarlocke erwähnt; sie führte vermutlich zur Redensart »eine Gelegenheit beim Schopf packen«: Ist diese vorbei ist, dann kann sie auch nicht mehr ergriffen werden, daher der kahle Hinterkopf.

    Bei diesem »Merken« geht es um die Fähigkeit, herauszuspüren, was »in der Luft liegt«. Im Film »Gandhi« ist dies dargestellt in der Szene, in der Gandhi nach etwas zu schnüffeln scheint. In vielen Kulturen gibt es Seher (wie z. B. den blinden Teiresias in der griechischen Mythologie), Wahrsager oder Propheten, deren Aufgabe es ist, die jeweilige Zeit-Qualität zu erspüren«: das, was »an der Zeit« ist; die »Themen«, die »reif« sind, für die »die Zeit gekommen« ist. Gemäß dem schon zitierten Spruch, wonach »ein Jegliches« seine Zeit hat: »geboren werden und sterben …«
    C. G. Jung bezeichnet diese Fähigkeit als Intuition. Diese psychische Funktion ist in der mental dominierten Gegenwart weitgehend unterschätzt und unterdrückt – sie konnte am ehesten noch in der Kunst überleben. Für Robert Jungk (1990, 275f.) haben sich vor allem Künstler »eine Ahnung vom Kommenden erhalten.« Sie konfrontieren die Gesellschaft »mit dem anderen, dem vorläufig logisch noch nicht Erfassbaren (…), mit den größeren Möglichkeiten des Menschen.«
    Angesichts der bedrohten Welt plädiert Jungk dafür, die künstlerische »Fantasie, Intuition, Schöpferkraft«, die oft in Kunstwerke »eingesperrt« sind, zu befreien; sie weiter zu entwickeln und in die Gesellschaft ausstrahlen zu lassen. Was damit gemeint ist, geht weit über ökonomische, technische oder gesellschaftliche Prognosen hinaus. »Wir werden außerordentliche Kräfte der Einsicht, Übersicht, Voraussicht und Neusicht entwickeln müssen, um

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