Die Kunstjaegerin
sodass sie die Zeit fast unbeschadet überstanden haben.
Ich ahnte sofort, dass Galilei sie geschrieben hatte. Sie allein wären ein Vermögen wert gewesen. Aber in den Briefen erzählte er von einem Manuskript, das er an der Inquisition vorbeigeschmuggelt hat. Ein Manuskript, das bis heute noch nicht gefunden wurde, hundertmal so wertvoll wie die Briefe und eine absolute Sensation.
Ich wäre auf einen Schlag berühmt gewesen!«
Casagrande verstummte. Er sah sich wieder bei diesem riesigen Gerümpelhaufen stehen, auf der Suche nach etwas Brauchbarem.
Seine Mutter hatte ihn aus dem Haus geworfen, sein Vater saß bereits eine Ewigkeit im Gefängnis. Er kam bei einem Freund unter, der ihm einen kleinen Kellerraum zur Verfügung stellte – ein Loch, aus dem er so bald wie möglich verschwinden wollte. Dann hielt er diese Briefe in den Händen und wusste, sie waren seine einzige Chance, dem ganzen Dreck zu entfliehen. Er verließ seinen vorgezeichneten Weg, der über Drogenhandel, Diebstahl und Körperverletzung direkt in die Nachbarzelle seines Vaters geführt hätte, und konzentrierte sich nur noch darauf, mehr über das Manuskript zu erfahren. Er schuftete nachts in Lagerhallen, um tagsüber zu studieren. Natürlich war es nicht immer ohne die Hilfe seiner alten Freunde und einiger Diebstähle gegangen, aber schließlich hatte er den Ausstieg geschafft und war Dottore Casagrande geworden – der Dottore mit den besten Verbindungen zu Dieben und Hehlern. Er erinnerte sich an das unglaublich erhebende Gefühl, als er sein Abschlussdiplom überreicht bekommen hatte.
Casagrande wandte sich wieder an Theresa und berichtete weiter, wie er kurz nach dem Studium endlich entdeckt hatte, dass der Adressat Bonaventura Igowski sein musste.
Galileo hatte es zuvor zweimal geschafft, Schriften aus Arcetri zu schmuggeln: Einmal sorgte der Anwalt Elia Diodati dafür, dass der ›Dialog‹ in Holland verlegt wurde, später übergab Galileo ein weiteres Werk an den Grafen von Noailles. Dies alles war belegt, aber das dritte Manuskript, von dem er in den Briefen geschrieben hatte, war bis heute nicht aufgetaucht.
Casagrande machte eine kurze Pause, weil Dino murmelte und sich auf der Bank wälzte.
Theresa wusste nicht, ob sie sich wünschen sollte, dass ihr Sohn endlich aufwachte oder weiterschlief. Mit einem schlafenden Kind war es unmöglich, an Flucht zu denken, aber sie wollte auch nicht, dass er seine Mutter gefesselt sehen musste.
»Leider verschwieg Galileo in seinen Briefen, an wen er das Manuskript geschickt hatte«, fuhr Casagrande fort und hatte wieder Theresas volle Aufmerksamkeit. »Er erwähnte jedoch, dass ein versteckter Hinweis mit dem Gemälde, das Sustermans gemalt hatte, an Bonaventura übermittelt wurde. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte er getroffen, weil immer wieder Briefe von der Inquisition abgefangen worden waren. Meist schmuggelte seine Putzfrau Maddalena die Briefe aus dem Haus, denn die Herren der Inquisition griffen einer fast 80-Jährigen nicht mehr unter die Röcke.«
Theresas Kopf schmerzte. Die Aufregung, der Betablocker und nun diese Flut an Informationen. Unglaublich, dass sie die ganze Zeit einer Originalhandschrift von Galileo Galilei auf der Spur gewesen waren!
»Als Igowski das Bild erhielt, war er bereits schwer krank. Er konnte das Manuskript nicht mehr abholen und veröffentlichen lassen. Galileos Briefe hatte er aus Angst vor der Inquisition gut versteckt. So wurde das Gemälde, von dessen wirklichem Wert die Kinder nichts wussten, durch die Generationen weitervererbt.«
Bis die letzte Fürstin Igowski ohne Nachkommen gestorben war und Ambrosius es unglückseligerweise gekauft hatte, dachte Theresa. Boris hatte mit seiner Theorie recht gehabt.
Die ›Krönung‹ war seit Jahrhunderten im Familienbesitz gewesen.
Nur bei der Bedeutung des Werkes hatten sie sich getäuscht.
Darüber zu sinnieren, war jetzt jedoch nicht die Zeit. Sie betrachtete Dino. Ihr wollte einfach kein Fluchtplan einfallen.
Casagrande, der die Geschichte vermutlich jahrzehntelang mit sich herumgetragen hatte, war nicht zu stoppen. Er stand auf, ging zum Fenster und betrachtete den Vollmond.
»Du verstehst, dass diese Briefe seither mein Leben bestimmt haben. Ich folgte den Spuren Sustermans’ und den Spuren der Igowskis. In Österreich verlor ich sie, weil ich erst zehn Jahre nach dem Tod der letzten Fürstin nach Pöllau gekommen bin. Dort konnte ich das Bild nicht mehr finden.«
Und er war bei
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