Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Vergebung, die er eines Tages erlangen würde. Angesichts der Schwere seiner Schuld konnte die Absolution allerdings nicht groß genug ausfallen.
Es war ein besonderer Tag. Bisher hatte Francesco Todeschini Piccolomini ihm immer nur die Aufträge für seine geheimen Missionen erteilt. Nun jedoch hatte ihn der Kardinal, nach Ablegung des Schweigegelübdes, zum ersten Mal zu der geheimen Zusammenkunft in der Krypta der alten Basilika gebeten. Seit drei Jahren schon stand er in den Diensten der Erzbruderschaft, und an diesem Abend sollte er aufgenommen werden.
In einer Mischung aus Aufregung und feierlicher Ergriffenheit machte er sich auf den Weg. Er konnte es fast mit Händen greifen, dass sich in dieser Nacht sein Leben verändern würde. Während er einen goldenen Ring mit einem schwarzen Stein am Ringfinger seiner linken Hand hin und her drehte, spürte er, wie seine Hände feucht wurden.
Der junge Predigerbruder Jaume el Català oder, wie er sich inzwischen auf Italienisch nannte, Giacomo il Catalano verließ die Canonica und betrat durch einen Nebeneingang das Atrium der heiligen Basilika. Sein Blick streifte den mannshohen Pinienapfel aus Bronze, der in der Mitte des Vorhofes stand. Während die dem Mond zugewandte Seite warm und hell wie Gottes Licht erstrahlte, hüllte sich die abgewandte Seite in Schatten und verwandelte sich so zu einem kaum merklich vibrierenden Schemen. Helligkeit und Dunkelheit gehörten zusammen, dachte er. Und Gottes Streiter hatten nicht immer die Wahl, ob sie auf der Tag- oder Nachtseite kämpfen wollten. Der Allmächtige konnte doch nicht einfach seine Heerscharen aus der Finsternis zurückziehen, auch dorthin musste er sein Licht senden, auch dort durften seine Streiter nicht fehlen. Selbst in die Hölle hatte er seine geheimen Kämpfer zu schicken. Giacomo war dazu bereit. Das Inferno schreckte ihn nicht, es war ihm allgegenwärtig. Entschlossen lenkte er seine Schritte an der Mauer entlang zu den fünf Eingängen der alten Basilika.
2
Ravenna, Anno Domini 1492
»Messèr, es ist so weit!«
Nur widerstrebend nahm Bramante wahr, dass ihn jemand heftig an der Schulter rüttelte. Es kam ihm vor, als habe er sich eben erst zum Schlafen niedergelegt. Doch als er blinzelnd die Augen öffnete, sah er, dass es draußen dunkel geworden war.
An seinem Bett stand der Hausdiener mit einer Öllampe. Bramante brauchte eine Weile, bis er den Schlaf abgestreift hatte. Dann erinnerte er sich an seine nächtliche Verabredung und sprang auf, was er sogleich bereute. Alles drehte sich, und er musste sich an der Wand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Nachdem er ächzend und stöhnend die Stiefel angezogen hatte, brachte ihn der Diener wortlos zum Hintereingang des Gasthofes und ließ ihn hinaus. Von einem widerlichen Geschmack im Mund gepeinigt, der wohl von dem geräucherten Aal herrührte, spuckte Bramante aus und fluchte. Warum hatte er sich nicht mit einem Schluck Wasser oder Wein den Rachen gespült?
Wolken hatten sich vor die Sterne geschoben und den Mond verdeckt. Es hatte leicht zu nieseln begonnen, oder es war die Feuchtigkeit, die der Wind von der Adria hertrug. Bramante lenkte seine Schritte in die Richtung, die der Wirt ihm gewiesen hatte, und stand schon nach wenigen Minuten vor dem antiken Kuppelbau, der sich düster und drohend vor ihm erhob. Er wusste nicht viel über San Vitale, außer, dass die Kirche vor über tausend Jahren erbaut worden war und Stilelemente der westlichen und östlichen Architektur vereinte. Die Ausmaße der alles überragenden Kuppel konnte er in der Dunkelheit nur erahnen.
Bramante gehörte zu jener Sorte Mensch, die im unbegrenzten Vertrauen auf ihre eigene Kraft so rasch nichts erschütterte. Doch in diesem Moment spürte er ein leises Gefühl der Verunsicherung, wie er es wohl zuletzt als Knabe empfunden hatte. Er rief sich zur Ordnung, straffte die Schulter und betrat gemäß der Anweisung die Kirche durch eine kleine Tür des Quergebäudes an der Westseite. Im Mauerwerk nächst der Tür ahnte er mehr, als dass er es sah, ein kleines steinernes Emblem. Er tastete es mit seinen Fingerkuppen ab und wunderte sich, denn es erinnerte ihn entfernt an eine Rose. Aber vielleicht irrte er sich auch, der Stein war verwittert und abgegriffen.
Die hohe Kirche lag weitgehend im Dunkeln, nur auf dem Altar im Chor brannten drei dicke runde weiße Kerzen, die zwei Ellen an Höhe maßen. Tapfer warfen sie ihr flackerndes Licht in die Dunkelheit
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