Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
des riesigen Raumes. Trotz der spärlichen Beleuchtung war Bramante vollkommen überwältigt. Die Wucht dieser Bauweise, ihre nach oben gerichtete Gleichmäßigkeit, nahm ihm den Atem. Sofort fiel ihm auf, dass die Richtung nicht wie in den gotischen Kathedralen himmelwärts strebte, sondern dass hier das Oben und das Unten zusammengehörten. Hier galt kein Streben, hier war nur Sein, vollkommenes, in sich ruhendes Sein – die in Architektur übersetzte Harmonie des Kosmos. Oder eines sehr dicken, unersättlichen Mannes, wie sich Bramante aus naheliegenden Gründen den Weltenraum zuweilen vorstellte.
Der Architekt stand in einem Zentralbau. Das war etwas Besonderes. Wie er wusste, hatten die meisten Kirchen des Abendlandes die Gestalt einer Basilika, eines Langhauses, weil sich diese Gebäudeform für den lateinischen Ritus besonders gut eignete. Ausnahmen bildeten nur San Vitale und die Kirche Karls des Großen in Aachen und natürlich die kleinen Baptisterien und Grabkapellen.
Viele Kardinäle, Bischöfe und Priester sahen im Rundbau ein Werk des Teufels. Für den Baumeister Bramante war der Zentralbau zwar durch und durch antik, aber ein Symbol für die Ordnung der Welt, ob nun christlich oder heidnisch. Deshalb war er von diesem Bautyp begeistert und hatte gemeinsam mit seinem Rivalen Giovanni Antonio Amadeo darauf hingewirkt, dass auch der neue Dom von Pavia als Zentralbau geplant würde. Genau genommen, dachte er, ist es gar kein Bautyp, sondern eine Seinsweise, eine Art, zu leben und zu glauben. Wieder einmal nahm er sich vor, so bald wie möglich nach Rom zu reisen, um das Pantheon anzusehen, das von der größten freitragenden Kuppel gekrönt war.
Bramante wandte seinen Blick zur Apsis des Ostchores, von wo ein bartloser, von Engeln umgebener Christus auf ihn niedersah. Unter dem Kyrios befand sich linker Hand der byzantinische Kaiser Justinian, mit einem Heiligenschein versehen, inmitten seiner Berater. Rechter Hand stand seine Frau, vor der Hochzeit angeblich eine Prostituierte wie Maria Magdalena. Dennoch war sie wie ihr Gemahl mit einem Nimbus versehen worden. Kühn, dachte Bramante. Während er überlegte, welcher von Mailands Huren er einen Heiligenschein verleihen würde, flog ein sinnliches Lächeln über sein Gesicht, das aber bald dem Ausdruck bedauernden Verzichtes wich. Kurz verspürte er einen starken Druck in den Lenden, doch dann nahm die Schönheit der Kirche ihn wieder gefangen.
Bramantes Augen schwelgten noch im Grün, Gold und Blau des von Kerzen beleuchteten hohen Chores, als er aus den Augenwinkeln wahrnahm, dass sich mehrere Schatten auf ihn zubewegten. Noch bevor er die Gestalten erkennen konnte, stürzten sie sich schon auf ihn. Wie viele Männer ihn angriffen, konnte er nicht ausmachen. Genügend jedenfalls, um seine kraftvolle Gestalt rasch und mühelos auf den mit kunstvollen Mosaiken bedeckten Kirchboden hinunterzudrücken. Bramante war weder langsam noch schwach, doch er konnte nichts dagegen tun, dass man ihm die Arme mit einem ins Fleisch schneidenden Lederriemen hinter dem Rücken fesselte und die Augen verband. Zwei kräftige Burschen packten ihn an den Oberarmen, stellten ihn wieder auf die Beine und schoben ihn wenig gefühlvoll vorwärts. Er leistete keinen Widerstand, weil er sich resigniert eingestehen musste, dass es sinnlos gewesen wäre. Stattdessen schärfte er seine Sinne, um für den entscheidenden Augenblick gerüstet zu sein.
War er doch in eine Falle geraten? War der Auftraggeber dieser Männer vielleicht ein neidischer Konkurrent? Würde Amadeo sich dazu hinreißen lassen, einen Mord in Auftrag zu geben? Bramante wusste es nicht, möglich war alles. Menschen verzichteten nicht auf Vorteile, ganz gleich, was sie kosteten. Und bei Lichte besehen bildete auch er selbst darin keine Ausnahme. Nur befand er sich leider in diesem Fall in der unvorteilhaften Lage, das Opfer abzugeben.
Während er vorwärtsstolperte, zermarterte sich Bramante das Hirn. Wenn er wirklich aus dem Weg geschafft werden sollte, so war der Plan ebenso einfach wie genial: Ihn in Mailand abzustechen hätte viel zu viel Aufsehen erregt, ihn dagegen wegzulocken und in der Fremde zu ermorden, konnte im wahrsten Sinne des Wortes als todsicher gelten. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass an der ganzen Sache etwas nicht stimmte. Weshalb sollte jemand eine solche Mühe für sein plötzliches Ableben aufwenden? Man hätte ihn auch ohne große Umstände unterwegs ermorden und die Tat den
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