Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Werkes von Donato und Antonio zu finden, sende ich Euch das Buch nebst Übersetzung, das beiden so viel bedeutet hatte.
Florenz, im Frühling 1547
Lucrezia di Imperia da Sangallo
Er las den Brief mehrmals, weil er ihn beeindruckte und nicht losließ. Michelangelo konnte sich nicht erinnern, diese Frau jemals gesehen zu haben. Er blätterte in den beiden Büchern und stellte fest, dass das eine zur Hälfte eine schöne Ausgabe von Dantes »Göttlicher Komödie« war, zum anderen das »Buch der Baumeister«, dessen Übersetzung danebenlag. Aus dem Buch erfuhr Michelangelo von einem alten Geheimbund, dem neben Dante auch sein Lehrer Landino, Angelo Poliziano, Pico della Mirandola und sogar Giovanni de Medici – das dicke Kind, das ihn dadurch überraschte, dass es Papst geworden war – angehört hatten. Immer wieder hatte er mit Mitgliedern der Fedeli d’Amore zu tun gehabt, ohne dass er jemals davon erfuhr. Und auch nicht von der Erzbruderschaft, für die der schöne Kardinal Giacomo Catalano stritt. Von alledem hatte er nichts gewusst, aber das hatte auch keine Bedeutung mehr. Viel wichtiger waren die Dinge, die in dem Buch über die Baukunst standen. Schon die ersten Seiten, die eine Analogie des menschlichen Körpers zur Architektur herstellten, beeindruckten ihn. Das dachte auch er – der Bau des Körpers entsprach der Architektur der Gebäude, der Kirchen und Paläste. Der verrückte Leonardo hatte es gezeichnet. Michelangelo vergaß seinen Kummer, er vergaß zu essen, nahm nur etwas Wein mit Honig zu sich.
Plötzlich durchfuhr ihn eine irrsinnige Ahnung. Nur mit Hemd und Hose bekleidet, eilte er zum Petersdom. Es regnete heftig, doch er spürte kaum die Nässe und den Wind, der über den Ponte Sisto blies. Während er parallel zum Tiber auf der Straße zum Borgo auf die Porta Santo Spirito zuschritt, hatte er die mächtig ragende Vierung im Blick. Der Weg zog sich endlos hin. Für jede Meile, die er zurücklegte, zwängten sich zwischen ihn und das Ziel zwei neue. Fast lief er, es konnte ihm nicht schnell genug gehen. Wenn sich sein Verdacht bestätigte, dann stand er vor dem größten und tragischsten Missverständnis, von dem die Welt je gehört hatte.
Als er sich der Baustelle näherte, erzeugte er dadurch eine ungeheure Betriebsamkeit. Maurer, die zusammenhockten und den Weinkrug kreisen ließen, sprangen wie von der Tarantel gestochen auf und begannen zu schuften. Gesellen rannten los, um ihre abwesenden Meister zu holen. Aber das kümmerte ihn nicht. Nicht um ihretwillen war er hier. Mit schnellen Schritten durchquerte er die Vierung und gelangte in den Westchor, die Capella Julia, wie sie auch genannt wurde, dort, wo einst sein Grabmal für Julius II. stehen sollte, das er nun in einer deutlich reduzierteren Form in San Pietro in Vincoli vor einem Jahr aufgestellt hatte.
Vielleicht, dachte Michelangelo, lag das Geheimnis wirklicher Kunst in der Reduktion, in der Besinnung auf das Wirkliche, das Gott war, die Kraft, die Ursache, nicht den Schein, sondern das Sein? Deshalb liebte er, der riesige Decken, große Wände mit farbgewaltigen Fresken geschmückt hatte, mehr noch sie mit einer Unzahl von Personen bevölkert hatte – allein in seinem »Jüngsten Gericht« wurden von Bewunderern fünfhundertzwanzig Figuren gezählt –, inzwischen die einfache Zeichnung. Die Größe fand sich einzig in der Intensität.
Vor ihm erhob sich das begehbare Modell des Petersdoms, das ihn um das Doppelte überragte und das Antonio da Sangallo in einer Art Ewigkeitsangst in sieben Jahren minutiöser Kleinarbeit detailversessen hatte errichten lassen. Und was war es, dieses Modell? Ein Witz! Der grausame Spott Gottes über einen Mann, der sich zeitlebens redlich bemüht, aber das Wesentliche nicht verstanden hatte. Michelangelo fiel auf die Knie. Die Meister liefen herbei, sie mussten ihren neuen leitenden Architekten für verrückt halten. Obwohl es viel zu kalt dafür war, kauerte er, nur mit Hose und Hemd bekleidet, vor Sangallos Modell und schüttelte immerfort den Kopf. In der Tat hatte Gott nie ätzender und boshafter über einen Menschen gespottet als über den Baumeister Antonio da Sangallo. Bei Bramante, den Michelangelo nicht mochte – der aber ein Genie gewesen war, wie er jetzt eingestand –, hatte Antonio gelernt, sein ganzes Leben hatte er Bramantes Werk fortsetzen wollen und am Petersdom gearbeitet. Und dabei hatte er seinen Lehrmeister nicht verstanden. Es hatte ihm das Organ gefehlt, mit dem er
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