Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Kunst.
Bedauerlicherweise war es nun aber ein Entwurf des jungen Florentiners, der Julius II. beglückte, und nicht eine Skizze von Bramante. So groß die Gunst des Papstes sein konnte, so schnell schwand sie manchmal auch wieder dahin. Denn die Kehrseite der päpstlichen Freude bestand darin, dass Julius mutwillig mit den Künstlern spielte wie ein Kind mit Holzfigürchen, die es achtlos in die Ecke warf, wenn es ihrer überdrüssig geworden war und ein anderes Spiel neue und größere Freude verhieß. Bramante musste also auf der Hut sein – ein anderer, jüngerer Baumeister schien angetreten zu sein, um ihn aus dem Herzen des Papstes zu verdrängen.
Und das jetzt, wo ich alt und gichtbrüchig werde, dachte Bramante mit einem Anflug von Selbstmitleid. Seine rot geschwollene Hand hatte er in einem weißen Ziegenlederhandschuh versteckt – niemand durfte von dem Gebrechen erfahren. Aber nicht nur daran zeigte sich zu seinem Erschrecken das Alter. Zuweilen verspürte er keine Lust mehr, sich um Aufträge zu balgen und die Rivalen kraft seiner Beredsamkeit und seiner Erfahrung zu verdrängen. Dafür plagte ihn in letzter Zeit immer häufiger der schiere Überdruss. Hatte er nicht alles erreicht, was ein Architekt sich nur wünschen konnte? Er hatte die beiden Korridore erbaut, die vom Vatikanpalast zum Belvedere führten. Zudem leitete er die größte städtebauliche Maßnahme in Rom: Haus um Haus ließ er in den verwinkelten Vierteln längs des Tibers niederreißen, um Platz für eine breite Straße zu gewinnen, die vom Vatikan zum Lateran führen und nach dem päpstlichen Bauherrn Via Giulia heißen sollte. Hinzu kam ein Tempel in San Pietro in Montorio, wo Petrus der Überlieferung nach gekreuzigt worden war. Bramante hatte diesen Tempietto als reinen antiken Zentralbau mit Kuppel gerade fertiggestellt. Seit tausend Jahren war in Rom nicht mehr etwas derartig Heidnisches erbaut worden. Er konnte stolz auf sich sein, denn damit hatte er – wenn auch im Kleinen – als erster Baumeister seiner Zeit die Grundsätze des guten Bauens umgesetzt, wie sie von Vitruv überliefert und von Leon Battista Alberti wiederentdeckt worden waren. Niemand wusste, dass Bramante den Petrustempel heimlich dem Andenken seines Freundes Pico geweiht und eine Locke vom Haupthaar des Philosophen im Fundament des Altars versenkt hatte. Wer war Petrus schon im Vergleich zu dem göttlichen Pico?
Der Freund war nun schon über zehn Jahre tot, doch er fehlte Bramante von Jahr zu Jahr mehr, ebenso wie die Zusammenkünfte der Bruderschaft, die mit Picos Tod aufgehört hatte zu existieren. Manchmal, wenn er abends mit Sangallo bei einem Glas Wein saß, ließen sie die Tage der Fedeli in ihrer Erinnerung noch einmal aufleben und nannten sich gegenseitig scherzhaft Bruder. Und Leonardo? Der füllte in Mailand einen Karton nach dem anderen mit Zeichnungen und Entwürfen einer idealen Stadt nach den Grundsätzen des guten Bauens. Aber es blieb eben bei Karton – wie so vieles bei ihm.
Ja, Bramante hatte wirklich viel erreicht, aber der Tempietto war eben ein Tempelchen und kein Tempel. Alles in seinem Leben erschöpfte sich bis jetzt im Vorläufigen, im Hinführenden – das ganz große Werk, das ihn in die Ewigkeit einschreiben sollte, stand noch aus. Wenn ihn heute der Tod ereilte, würde sein Leben unvollendet bleiben. Er musste sich sputen. Und ausgerechnet jetzt, wo er spürte, dass seine Kraft nachließ, schlich sich dieser gottverdammte Michelangelo ein! Mit aller Selbstdisziplin, zu der er fähig war, zügelte Bramante seinen Zorn. Er wusste nur zu gut, dass er weder Schwäche zeigen noch Missstimmung verbreiten durfte – beides mochte der Papst nicht, beides würde ihm das Herz des Gönners und Auftraggebers entfremden.
Es war ihm gelungen, den Florentiner Architekten Sangallo, seinen Vorgänger in der Gunst des Papstes, klein zu halten und mit ihm darüber hinaus noch im besten Einvernehmen zu leben. Mit diesem jüngeren Konkurrenten jedoch, so wurde Bramante in diesem Moment bewusst, würde er auf Leben und Tod kämpfen müssen. Der war aus anderem Holz geschnitzt als der mäßig ehrgeizige Giuliano da Sangallo, der war ihm selbst ähnlich in seiner ungezügelten Kraft und seinem völlig vermessenen Anspruch. Es konnte nur einen geben! Wer diese simple Wahrheit nicht begriff, brauchte erst gar nicht anzutreten. Irgendjemand, so erinnerte er sich, hatte ihm hinterbracht, dass der Kardinal Catalano Michelangelos Pietà im Petersdom
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