Die Lady auf den Klippen
sie tief geschlafen und geträumt hatte. Vor Entsetzen hämmerte ihr Herz wie wild, und sie blickte aus dem Fenster. Es war hell draußen – mitten am Nachmittag. Sie hatte mehrere Stunden geschlafen, weil sie die ganze Nacht bei Sir Rex gewesen war und ihn versorgt hatte.
Zitternd warf sie die Decken beiseite und versuchte, sich von dem schrecklichen Traum zu befreien. Jetzt fiel ihr wieder ein, dass Meg ihr geholfen hatte, das verdorbene Kleid und Korsett und die Unterröcke auszuziehen, ehe sie in ihrem seidenen Chemisier ins Bett gefallen war. Sie lief zum Fenster und öffnete es weit. Warum hatte sie einen solchen Albtraum gehabt? Und warum hatte sie entsetzliche Angst?
Es war doch nichts passiert!
Aber da war so viel Blut gewesen …
Es war nur ein Albtraum, sagte sie zu sich selbst, und es hat nichts zu bedeuten, überhaupt nichts!
Ihre Tür wurde zugeschlagen, und Sir Rex stand dort, mit nichts als seiner Hose am Leib. Er wirkte sehr beunruhigt. „Blanche?“
Einen Moment lang starrte sie ihn nur an und sah wieder den goldenen Löwen vor sich. Und dann begann ihr Verstand zu arbeiten. „Warum sind Sie nicht im Bett?“, rief sie vorwurfsvoll. Ihre Sorge um ihn begann den Traum zu verscheuchen.
Sein Blick fiel auf ihr offenes Haar und wanderte dann über ihren spärlich bekleideten Leib bis hin zu ihren nackten Zehen. Schließlich sah er ihr wieder ins Gesicht. „Ich dachte, ein Einbrecher würde Sie in ihrem Bett ermorden.“ Dann fügte er hinzu: „Sie holen sich eine Lungenentzündung, wenn Sie so am offenen Fenster stehen.“
Blanche fiel ein, dass sie in ihrer Unterkleidung dastand, die wenig verhüllte. Sie lief zum Kleiderschrank und zog einen Hausmantel über, während sie errötete und sich fragte, wie durchsichtig ihr Chemisier wohl war. „Ich hatte geträumt.“ Sie schloss den Gürtel und merkte, dass sie sich noch immer krank fühlte und ihr Herz viel zu schnell schlug. Doch ein anderes Gefühl regte sich. Sir Rex’ Gegenwart füllte das Schlafzimmer aus. „Sie hätten klopfen sollen.“
„Sie haben geschrien, als wollte jemand sie umbringen“, sagte er in scharfem Ton. „Mir wäre beinahe das Blut in den Adern gefroren. Genau wie bei Ihrem Schrei gestern in der Kirche.“
Sie sah ihn an. Der Traum hat mir genauso Angst gemacht, wie es die Minenarbeiter in der Kirche taten, dachte sie. Jetzt war sie verstört und unsicher. Doch diesmal war sie ruhiger, ruhig genug, um zu bemerken, dass Sir Rex noch immer dieselbe Hose trug wie bei dem Unfall am Vortag, und diese Hose war schmutzig und voller Blut. Aber zumindest seine Wunde war jetzt ordentlich verbunden.
„War der Wundarzt hier?“, fragte sie und riss ihren Blick von seiner Brust los.
„Ja. Und Dr. Linney hat auch vorgesprochen.“ Auf seinen Wangen erschienen nun zwei rote Flecke. Sein Blick war zu dem Oberteil ihres mit Falten versehenen Hausmantels geglitten, als könnte er durch den Stoff blicken, dann ließ er ihn wieder zu ihrem Gesicht wandern. „Tom Hamilton hat Ihre Arbeit gelobt und gesagt, ich würde wieder gesund.“
Sie versuchte, nicht darauf zu achten, dass er fast nackt war. Jemand würde ihm helfen müssen, die Kleider zu wechseln. „Hat er auch gesagt, es wäre richtig, wenn Sie im Haus herumlaufen, nur wenige Stunden, nachdem ich Ihre Wunde genäht habe?“
„Wenn ich Sie derart schreien höre, kann ich nicht anders“, sagte er tonlos. „Das sollten Sie wissen.“
Sie schlang die Arme um ihre Taille. Ein Teil von ihr freute sich über seine Worte. „Wenn es ein Einbrecher gewesen wäre, so hätten Sie ihn in Ihrem Zustand kaum bekämpfen können, Sir Rex“, erklärte sie und hatte ihre turbulenten Gefühle endlich wieder im Griff.
Seine angespannte Miene wurde weicher. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Ist alles in Ordnung?“
Seine sanfte Stimme ließ sie erschauern und vertrieb den letzten Rest von Furcht und Missbilligung. „Es war nur ein Traum.“ Sie brachte ein Lächeln zustande. Und sie wollte nicht, dass er sich um ihr Wohlergehen Sorgen machte, wenn er doch selbst erst gesund werden musste. „Könnten Sie bitte ins Bett zurückgehen? Sie müssen sich ausruhen.“
„Natürlich“, sagte er, während er sie unbeirrt ansah.
Blanche wich seinem Blick nicht aus. Seine Fähigkeit, sich zu erholen, war erstaunlich, denn er wirkte weder blass noch krank oder gar so, als würde er gleich in Ohnmacht
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