Die Lady auf den Klippen
Sie zuckte die Achseln und wandte sich ab, was sehr unhöflich war, denn sie war nicht entlassen worden.
Blanche erstarrte. Bisher hatte sie noch nie einen Streit mit einem Dienstboten gehabt. Sie ging gerecht, freundlich, und wenn es angebracht war, auch großzügig mit ihrem Personal um. Aber seit sie Annes Verhältnis mit Sir Rex entdeckt hatte, mochte sie die junge Frau nicht mehr. Trotzdem war sie bisher höflich zu ihr gewesen. Dass Anne sie einfach so stehen ließ, war keineswegs angemessen.
Schließlich sagte Blanche: „Bitte bereiten Sie eine Mahlzeit für zwei vor und bringen Sie sie in Sir Rex’ Zimmer.“
Anne drehte sich wieder zu ihr um und lächelte – oder verzog zumindest das Gesicht –, ohne aufzusehen. „Was möchten Sie?“
„Etwas kaltes Fleisch, Brot und Käse.“ Sie dachte an Wein, entschied sich aber dagegen. Sir Rex trank ohnehin schon genug, und in der vergangenen Nacht hatte er ohne Zweifel zu viel Whiskey gehabt. „Und heißen Tee, bitte.“
Wieder verzog Anne das Gesicht und ging zur Speisekammer.
„Wo ist Fenwick?“, fragte sie. Sie sprach zum Rücken der jungen Frau und ärgerte sich, dass diese sich nicht umdrehte.
Anne unterbrach ihre Tätigkeit nicht. „Ich habe ihn ins Dorf geschickt, um Lebensmittel zu holen.“
Beinahe hätte Blanche von ihr verlangt, sie anzusehen, wenn sie mit ihr sprach. Aber Anne verschwand in der Speisekammer und ließ Blanche bebend zurück.
Anne war Blanches Stellung egal und ließ sie das auch spüren. Sie waren keine Rivalinnen, aber Blanche hatte das Gefühl, dass es genauso war. Doch sie wollte sich nicht auf einen Wettstreit mit einem Hausmädchen einlassen. Sie folgte Anne und blieb an der Schwelle zur Speisekammer stehen, die dunkel und kühl war. „Es gefällt mir nicht, dass ich Ihnen nachlaufen muss, um mit Ihnen zu sprechen“, sagte sie und versuchte, ruhig zu klingen. „Ich bin sicher, dass Sie Sir Rex gegenüber mehr Respekt zeigen.“
Das Hausmädchen hatte gerade eine Eiskiste geöffnet und richtete sich nun auf. „Oh, ich bitte um Verzeihung. Ich dachte, er könnte vielleicht hungrig sein – nach allem, was er durchgemacht hat.“ Sie lächelte.
Darauf konnte Blanche nichts sagen. „Wenn Fenwick zurückkehrt, muss jemand Sir Rex die Hose ausziehen. Ich nehme an, dass er lieber im Nachthemd im Bett bleibt.“
Mit Unschuldsblick sah das Hausmädchen sie an. „Ich kann ihm sicher helfen, sich auszuziehen – Mylady.“
Blanche fühlte, wie Unmut in ihr aufstieg. Sie sprach langsam und sehr entschieden. „Wenn Fenwick zurückkommt, kann er Sir Rex helfen. Ihre Pflichten, Anne, sind hier in der Küche.“ Ihre Stimme klang fest.
„Natürlich“, sagte Anne mit blitzenden Augen. „Außer wenn Sir Rex andere Aufgaben für mich hat.“
Blanche stockte der Atem. Sie wurde dunkelrot und drehte sich so schnell um, dass sie stolperte, ehe sie die Küche verließ. Als sie einen letzten Blick über die Schulter warf, bemerkte sie, wie Anne ihr kühl nachsah. Dieses Hausmädchen war einfach schrecklich. Nein, verbesserte sie sich, die Wahrheit ist schrecklich, wenn ich darüber nachdenke.
Sir Rex hätte sein Hausmädchen nicht ausnutzen dürfen, auch dann nicht, wenn Anne es freiwillig getan hatte. Es war Blanche gelungen, über sein Verhalten hinwegzusehen, aber es war so unpassend. Ja, sie wusste jetzt, dass er einsam war und seine Bedürfnisse hatte, aber bestimmt gab es eine Frau im Dorf, die als Mätresse zur Verfügung stehen würde.
Und sie musste etwas Mitgefühl für dieses Mädchen aufbringen. Natürlich mochte Anne sie nicht. Sie war ein einfaches Hausmädchen und die Geliebte ihres Dienstherrn, eine schwierige, sogar unmögliche Konstellation, und vermutlich verabscheute sie Blanche in jeder nur denkbaren Hinsicht. Aber ihre Unhöflichkeit und ihr Mangel an Respekt waren inakzeptabel und erschütterten Blanche.
Sie eilte in das obere Stockwerk und zwang sich zu einem freundlichen Gesichtsausdruck. Sir Rex’ Tür stand noch offen, und als sie stehen blieb, legte er das Buch hin, in dem er gelesen hatte, und lächelte sie an. Er hatte ein Hemd angezogen, aber es stand offen. Eigentlich hatte sie anklopfen wollen, doch nun ließ sie die Hand sinken.
„Anne bereitet eine kleine Mahlzeit vor.“
Sein Lächeln verschwand. „Was ist passiert?“
„Nichts.“ Sie zwang sich zu einer fröhlichen Miene, während sie an
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