Die Lady in Weiß
zurückzog, konnte er noch hören, wie George ein Platz in der Kutsche verweigert wurde.
Jeremiah steckte die Pistole zurück in die Manteltasche, in der sich auch die Diamanten befanden, und lief zurück zu seiner Laterne, die er vorhin auf dem Rasen abgestellt hatte. Er wusste noch immer nicht, warum Caro eigentlich zu ihm gekommen war, und erst recht nicht, warum sie sich von ihm hatte ausrauben lassen. Er dachte an ihre hübschen, nackten Zehen, die unter dem Saum des weißen Seidenkleids hervorgelugt hatten, und an ihr vertrauensvolles Lächeln, das sie beide zu Komplizen in der gerade beendeten Komödie gemacht hatte. Über dem Lärm der fahrenden Kutsche hörte er ihre Stimme; sie rief George eine Beleidigung zu, die eines Seemannes würdig war.
Nein, Caroline, Lady Byfield, entsprach nicht dem, was man sich normalerweise unter einer Countess vorstellte.
Und zum ersten Mal, seit er die Chanticleer verloren hatte, musste Jeremiah lauthals lachen.
„Komm schon, Junge, es gehört dir, wenn du Himbeeren magst.“ Jeremiah hielt das Stück Kuchen in seiner ausgestreckten Hand und bot es seinem Neffen Johnny an. „Ich selbst mag am liebsten den Apfelkuchen, aber eure Köchin hat beide ausgezeichnet gemacht. “
Der kleine Junge blickte den Kuchen mit der ernsthaften Neugier eines Vierjährigen an, die Hände hinter dem Rücken verschränkt wie sein Vater, der Admiral. Aber das war auch schon alles, was der Junge von seinem Vater hatte, denn mit seinen grünen Augen und seinem dunklen Haaren war Johnny ein Sparhawk durch und durch. Falls ich jemals einen Sohn haben sollte, dachte Jeremiah mit einem Anflug von Bedauern, so würde sein Junge aussehen wie der kleine Johnny.
„Nimm es schon, Junge. Ich schwöre, dass es nicht vergiftet ist. “ Immer noch zögerte das Kind und blickte hilfesuchend über die Schulter zu seinem Kindermädchen. Jeremiah hatte wenig Erfahrung als Onkel, und heute war er zum ersten Mal mit dem Jungen allein, ohne dass Desiree ihm die Scheu nehmen konnte. „Hab keine Angst, Johnny. Wenn du etwas siehst, das du haben möchtest, dann pack zu, und nimm es dir.“
Johnny überlegte kurz, griff nach dem Kuchen und stopfte ihn sich in den Mund. Nachdem er ihn gegessen hatte, lächelte er seinen Onkel an und zeigte dabei seine Zähne, die über und über mit Krümeln und Himbeermarmelade bedeckt waren, sodass es Jeremiah äußerst schwerfiel, das Lächeln freundlich zu erwidern.
„Oh, Johnny, du weißt doch, dass du deinen Onkel nicht stören sollst!“, rief Desiree, als sie in das Speisezimmer gelaufen kam. Ihr zweites Kind, Charlotte, klammerte sich
an ihren Rock.
„Er stört mich wirklich nicht, Desiree“, antwortete Jeremiah, aber die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören. „Er schien einfach noch hungrig zu sein, das ist alles.“
„Er ist immer hungrig nach Süßigkeiten.“ Sie nahm eine Serviette vom Tisch und beugte sich nach unten, um dem Jungen das Gesicht abzuwischen. Er wehrte sich, während Charlotte vergnügt und auch etwas schadenfroh kicherte. „Aber deshalb muss der kleine Schlingel dich ja nicht gleich anbetteln.“
„Er hat nicht gebettelt. Ich habe es ihm angeboten.“ „Wirklich, Jeremiah?“ Sie richtete sich langsam wieder auf, wobei sie sich mit einer Hand im Rücken abstützte. Allmählich spürte sie bei jeder Bewegung das Gewicht ihres dritten Kindes, das im Juni auf die Welt kommen sollte. Doch selbst in diesem Zustand ist sie noch eine Schönheit, dachte Jeremiah stolz, eine hochgewachsene, attraktive Amerikanerin, die es mit all den gedrungenen, blassen englischen Ladies jederzeit aufnehmen konnte. „Ich habe ihm gesagt, dass du noch krank bist, aber Kinder verstehen das nicht immer.“ „Hör schon auf damit, Desiree. Mir geht es so gut wie nie zuvor, und der Junge hat mich doch überhaupt nicht gestört. “ Er legte den Arm um die Schultern seiner Schwester und führte sie zu ihrem Stuhl. Das Kindermädchen nahm sich der beiden Kleinen an und verließ mit ihnen das Speisezimmer. „Du hast dir große Mühe mit ihm gegeben, das sieht man. Ein Blick genügt, und man erkennt, dass er mehr von den Sparhawks hat als von den Herendons.“
„Vergiss nicht, in welchem Haus du dich befindest“, entgegnete Desiree tadelnd und gab ihm mit dem Teelöffel einen leichten Klaps auf den Handrücken. „Ganz egal, ob es stimmt oder nicht, wenn Jack das hört, wird er deinen Kopf fordern. “
„Wenn er was hört?“, fragte ihr Ehemann, der gerade
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