Die Lagune Der Flamingos
Feier.«
»Ja, das war es wirklich, ein gelungenes Fest.«
Sie hörte den leisen Stolz, der in Eduards Stimme mitschwang. Er liebte seine Nichte Blanca. Er freute sich für ihr Glück.
Er hat ein sehr weiches Herz, fuhr es Annelie durch den Kopf.
Dann sagte sie: »Mina sah sehr hübsch aus heute, wirklich sehr hübsch. Und als ihr gemeinsam getanzt habt … Sie wirkte so glücklich.«
Zu ihrer Verwunderung reagierte er gar nicht auf ihre Worte. Sein Gesichtsausdruck war abwesend. Dafür berührte er nach einer Weile ihre Schulter.
»Annelie«, sagte Eduard, »warum sprichst du eigentlich dauernd von Mina zu mir? Ich liebe dich . Willst du das denn nicht endlich verstehen? Dich liebe ich, meine liebste Annelie, dich ganz allein.«
In Annelies Kopf war plötzlich eine große Leere. Sie starrte ihn an. »Aber Mina …«
»Sie ist schön, ja. Sie ist ein liebes, kluges Mädchen, aber sie ist doch viel zu jung für mich. Sie ist erst Mitte zwanzig, ich bin sechsundfünfzig. Ich könnte ihr Vater sein. Ich bin ein alter Mann.« Eduard schien noch zu zögern, dann zog er Annelie entschlossen näher zu sich hin. »Ich will dich an meiner Seite, Annelie, dich, eine gestandene Frau.«
»Ich bin keine gestandene Frau, ich bin …«
Annelie hörte, wie ihre Stimme klang, schrill, ungewohnt, als sei sie bei etwas ertappt worden. Sie biss sich auf die Lippen.
Ich bin eine Mörderin, hatte sie ausspucken wollen, doch sie bremste sich. Alles, nur das nicht. Das würde Mina nicht helfen. Eduard schien das wahre Gefühlschaos in ihr nicht zu bemerken.
»Annelie«, er hielt ihre kleinen Hände zwischen seinen großen geborgen, »ich habe lange gewartet, wollte abwarten. Nun bitte ich dich doch: Heirate mich. Werde meine Herrin auf La Dulce.«
Annelie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Zu spät, dachte sie, es ist zu spät. Ich verdiene solch ein Glück nicht mehr, nur Mina.
Eduard schien ihr Zögern als Ja zu verstehen, denn er wagte es nun, seine Hand über ihren Arm streifen zu lassen. Es war nicht das erste Mal, dass sie einander berührten. Annelie erinnerte sich jetzt an einen Ausflug auf der Lagune, als das Boot ins Schwanken geraten war und Eduard sie vor einem Sturz ins Wasser bewahrt hatte. Sie dachte an ruhige Abende vor dem Kamin, als sie über die alte Heimat gesprochen hatten. Sie erinnerte sich daran, wie er ihr Essen gelobt hatte. Entschlossen trat Annelie einen Schritt von Eduard weg. Seine Hand sank herab. Er schaute sie fragend an.
»Willst du gar nichts sagen?«, fragte er endlich sanft.
Sie schüttelte den Kopf. »Es geht nicht. Ich kann dich nicht heiraten.«
Dann drehte sie sich auf dem Fuß um und lief zurück ins Haus.
In den nächsten Tagen reisten die Gäste nach und nach wieder ab. Auch Viktoria kehrte zurück nach Tres Lomas, doch sie wusste, dass sie noch lange vom Aufenthalt auf La Dulce zehren würde, von den Erinnerungen an die schöne Verlobungsfeier und von den Gesprächen mit Anna.
Wer hätte gedacht, dass wir auch einmal verwandtschaftlich verbunden sein würden?, dachte sie.
Nur Pedro machte sich erneut große Sorgen. 1886 stand wieder eine Präsidentenwahl an.
Anfang Juni brachen unerwartet Unruhen aus.
Achtes Kapitel
Julius schüttelte den Kopf.
»Und wieder sitzen andere an den Fleischtöpfen … Wie es der großen Masse geht, ist und bleibt ihnen aber gleichgültig.«
Anna hob den Kopf.
»Du hörst dich ja schon an wie unser Schwiegersohn in spe.«
»Hoffst du immer noch darauf, dass er Marlena heiratet?«
»Du nicht?«
Julius gab keine Antwort mehr, denn eben war eines der Dienstmädchen hereingekommen und reichte Anna einen Brief.
»Er ist von Viktoria«, rief die aus. »Endlich.«
Im letzten Monat waren Nachrichten von einem Umsturz in Tucumán nach Buenos Aires gedrungen. Seitdem warteten alle im Haus Meyer-Weinbrenner sehnsüchtig auf Nachricht.
»Los, los«, forderte Julius sie auf, »mach schon auf. Was schreibt sie denn?«
Mit zitternden Fingern brach Anna das Siegel und faltete das Schreiben auseinander. Ihre Augen überflogen die Zeilen. Dann atmete sie tief durch.
»Jetzt lies endlich vor!«, drängte Julius ungeduldig.
Und Anna begann, vorzulesen:
Liebe Freunde!
Ihr werdet schon gehört haben, was hier geschehen ist, und da nun der größte Trubel vorbei ist, kann ich euch endlich beruhigen. Es geht uns allen gut.
Aber lasst mich von vorn anfangen. An jenem 12. Juni, als alles begann, war Pedro am Morgen in der Stadt, ausgerechnet
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