Die Lagune Der Flamingos
wo er hergekommen war. Eben, da war sie sicher, hatte er noch nicht dort gestanden. Sie war allein in der Küche gewesen.
Er war nicht mehr der schöne Bursche von früher. Man hätte sagen können, dass sich nun sein wahres Ich auf seinen Gesichtszügen zeigte, aber sie wusste, dass das dummes Geschwätz war. Man konnte Menschen nicht auf den ersten Blick ansehen, ob sie böse oder gut waren.
Sonst, fuhr es ihr durch den Kopf, hätte ich Xaver und Philipp Amborns Haus niemals betreten.
Daran, dass es sie nicht überraschte, ihn lebendig zu sehen, erkannte Annelie, dass sie in all den Jahren nicht an Philipps Tod geglaubt hatte. Sie hatte gewusst, dass man so jemanden wie Philipp Amborn nicht einfach tötete. Er war ein Dämon. Es genügte nicht, ihm eine Axt über den Schädel zu ziehen.
»Hast wohl gedacht, du bist mich für immer los, liebe Stiefmutter, was?«
Annelie konnte nichts sagen, sosehr sie auch um Worte rang. Angst kroch in ihr hoch und schnürte ihr die Kehle zu.
»Ja«, fuhr Philipp fort, »damals hättest du mich fast erwischt, die Axt, das Feuer … Wirklich, das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Aber man hat mich gerettet. Eine Zeit lang konnte ich mich leider an nichts erinnern. Ich wusste nicht, was geschehen war.«
Philipp sah sinnend in die Ferne. Das Küchenlicht warf gespenstische Schatten auf sein vernarbtes Gesicht und die wenigen verbliebenen Haarbüschel auf seinem Kopf.
»Dann kam der Tag, an dem ich mich wieder erinnerte – und es kam der Tag, an dem ich verstand, dass mein Leben nie mehr so sein würde wie zuvor. Mir war schnell klar, dass ich mich rächen musste. Das verstehst du doch auch?«
Annelie nickte, als sich seine rechte Hand wie ein Schraubstock um ihren linken Arm schloss.
»Ich begann, euch zu suchen. Vor ein paar Jahren war ich dann fast am Ziel, ein Vöglein zwitscherte mir etwas von der Plaza de la Victoria … Leider landete ich kurz danach bei der Armee. Man unterstellte mir Landstreicherei, ist das nicht unglaublich? Danach war ich krank, die Armee ist kein Zuckerschlecken, aber ich suchte weiter. Ich stellte mir vor, ihr müsstet irgendwo in Buenos Aires sein, irgendwo in der Nähe der Plaza. Ich suchte unzählige pulperías und Cafés und Bars auf. Ich fragte mich durch, immer und immer wieder, und eines Tages, da erkannte euch jemand.« Philipp lachte, hohl. »Und jetzt bin ich tatsächlich hier, liebste Stiefmutter.« Er musterte Annelie mit zusammengekniffenen Augen. »Seltsam, du scheinst dich gar nicht zu freuen«, stellte er dann gespielt liebenswürdig fest. Und dann fragte er etwas, das Annelie bis ins Mark traf: »Wie geht es meiner lieben Mina?«
»Ich … Sie …«
Annelie stellte das Tablett endlich ab, während sie weiter fieberhaft nach Worten suchte. Draußen waren noch die letzten Geräusche der unermüdlichsten Gäste zu hören. Jemand grölte vergnügt nach Rum. Dann näherten sich polternde Schritte. Philipp schienen sie nicht zu beunruhigen.
»Du weißt hoffentlich, dass du für den Rest deines kleinen miserablen Lebens büßen wirst, ja? Ab jetzt tust du, was mir gefällt. Zuerst mal brauche ich eine nette Bleibe und regelmäßig was zu beißen.«
Die Schritte verharrten vor der Tür. Annelie konnte nur nicken. Niemand durfte hören, dass sie nicht allein war. Im nächsten Moment krachte etwas zu Boden, und sie hörte Appollonia fluchen. Philipp tippte sich grüßend an die Stirn, grinste noch einmal und war im nächsten Moment durch die Hintertür in der Dunkelheit verschwunden.
Den ganzen restlichen Abend dachte Annelie darüber nach, was jetzt zu tun war, fand aber keine Lösung. Als die Nacht hereinbrach, trat sie noch einmal auf die Veranda. Sie hatte das Tuch, das Eduard ihr geschenkt hatte, um die Schultern geschlagen und hielt sich, gegen das Frösteln ankämpfend, fest mit beiden Armen umfangen.
Was soll ich nur tun?, fragte sie sich immer und immer wieder. Philipp hatte ihr nur zu deutlich gemacht, dass Mina und sie ihm ab jetzt vollkommen ausgeliefert sein würden. Was auch immer er auf La Dulce anstellte, sie würde es decken müssen. Zuerst einmal hatte er Unterkunft und Nahrung verlangt.
»Annelie?«
Eduard! Fast hätte sie aufgeschrien. Natürlich, Eduard, dachte sie jetzt, wenn ihr jemand helfen konnte, dann doch sicher er. Sie musste zuerst versuchen, Mina aus Philipps Einflussbereich zu bringen.
»Ich wollte noch etwas frische Luft schnappen«, sagte sie, »es war doch eine sehr aufregende, schöne
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